Die Juweleninsel
mein junger Herr?«
»Ja.«
»Aber kann der Sultan oder der Kaiser von Marokko jetzt mit Ihnen reden?«
»Natürlich nicht.«
»In wie fern denn und in wie so denn?«
»Weil keiner von den Beiden da ist.«
»Richtig! Und aus ganz demselben Grunde hat auch die Anna kein Wort gesprochen.«
»Sie ist nicht auf der Mühle?«
»Nein.«
»Wo denn sonst?«
»Das weiß man nicht.«
»Nicht? Ihre Eltern müssen doch wissen, wo sich ihre Tochter befindet!«
»Nein, sie wissen es nicht. Die Anna ist nämlich ganz spurlos verschwunden.«
»Unmöglich! Ist sie verunglückt, oder hat sie die Mühle heimlich verlassen?«
»Verunglückt kann sie unmöglich sein, denn in wie fern denn und in wie so denn, wenn ihr etwas Menschliches widerfahren wäre, so hätte man eine Spur davon gefunden.«
»Also heimlich davongegangen!«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Es bleibt doch gar nichts Anderes zu denken übrig!«
»So scheint es. Warum aber sollte die Anna die Mühle heimlich verlassen haben?«
»Vielleicht war sie mit den Eltern in Konflikt gerathen.«
»Konflikt? Dieses Zeug ist in der Höllenmühle niemals zu finden. Im Gegentheile, die Anna hat an ihren Eltern gehangen, wie selten ein anderes Kind.«
»Hatte sie eine heimliche Liebe, die von den Eltern nicht gebilligt worden ist?«
»O nein! Ihre Liebe war sehr öffentlich und wurde von dem Müller und seiner Frau im hohen Grade gebilligt. Der Herr Pastor Walther ist ein Mann, dem ein Jeder seine Tochter zur Frau geben kann, das werden Sie wohl zugeben, denn Sie kennen ihn ja ganz genau.«
»So begreife ich nicht – –!«
»Wir auch nicht. Das Verschwinden der Anna hat ungemeines Aufsehen erregt, und es ist in jeder Weise nach ihr geforscht worden, aber vergeblich. Der Müller hat sich alle Mühe gegeben, der Herr Pastor, der öfters zum Besuch kam, ebenso, und auch die Polizei hat Alles aufgeboten, um nur einen kleinen Anhalt zu entdecken. Alles umsonst!«
»Sonderbar. Es ist doch kein Fluß in der Nähe, der ihre Leiche hätte fortschwemmen können, wenn sie je darin verunglückt wäre. Nicht wahr, ein Bach treibt die Mühle?«
»Ja. Der schwemmt keine Leiche so weit fort, daß sie nicht wieder gefunden oder rekognoszirt werden könnte. Und Menschenfresser gibt es auch nicht in der Gegend.«
»Was sagt der Müller dazu?«
»Gar nichts mehr. Aber lachen, so wie früher, habe ich ihn nie wieder sehen.«
»Und die Müllerin?«
»Die weint und jammert. Was soll eine Frau in solcher Lage anders thun? Aber da haben wir Himmelstein, sehen Sie? Wie prächtig sich das von hier ausnimmt!«
Sie hatten eine Krümmung des Weges, durch welche Stadt und Burg Himmelstein verdeckt worden war, hinter sich und sahen nun beide vor sich liegen.
»Herrlich!« rief Kurt, den Schritt anhaltend. »Die Burg schaut so weit in das Land hinein, daß ich sie bereits einige Stunden lang vor mir hatte. So aber wie jetzt wurde sie mir noch nicht präsentirt. Ich möchte sie von dieser Stelle aus zeichnen.«
»Dazu haben Sie später noch Zeit, junger Herr. Jetzt wollen wir aber zur Mühle.«
»Wo liegt sie?«
»Da hinter der Stadt.«
»Gehen wir durch die Stadt?«
»Nein. Wir gehen um dieselbe herum, und zwar nach der Schlucht da drüben.«
Die Schlucht war bald erreicht. Ihre wilde Romantik wurde von Kurt bewundert.
»Jetzt begreife ich, warum dieser Ort die Hölle genannt wird. Es ist wirklich schauerlich hier. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn ich Teufel oder Dämonen in diesem finstern Gewirre von Felsen und Trümmern herumhuschen sähe.«
»Kommen Sie in der Dämmerung hierher, junger Herr. Dann wird es finster und furchtsam hier, während da droben die Fenster goldig leuchten und die Burg eine Krone von Strahlen trägt. Dann ist es einem wirklich, als ob man aus der Hölle tief unten empor blicke, mitten in die Herrlichkeiten des Himmels hinein. Das ist die richtige Zeit, Burg Himmelstein zu sehen und abzuzeichnen. Wenn es doch auch Himmel wäre da droben!«
»Was ist es sonst?«
»Hm, man darf nicht wohl davon sprechen, denn in wie fern denn und in wie so denn, man ist kein Katholik und muß sich darum in allen Stücken sehr in Acht nehmen. Das werden Sie sehr deutlich bei der Wallfahrt zu sehen bekommen, mein lieber junger Herr.«
»Wo liegt der Wallfahrtsort?«
»Die kleine Kapelle ist es, dort über dem Mönchskloster.«
»Das andere ist ein Nonnenkloster?«
»Ja. Die Väter da drüben und die Mütter hier hüben sollen sehr fromm
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