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Die Juweleninsel

Die Juweleninsel

Titel: Die Juweleninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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schwieg sie. Sogar die Augen blieben geschlossen, aber eine langsame Bewegung ihrer Mumienhand deutete an, daß sie ihren Namen gehört habe.
    »Zarba, ich gehe,« sagte er zum dritten Male.
    Sie richtete jetzt den Kopf ein wenig empor.
    »Gehen?« frug sie. »Alles geht – – die Sonne, die Sterne, die Jahre, die Tage, die Blume, der Mensch. Ja, gehe, Tirban; ich gehe auch!«
    »Willst Du mit?«
    »Mit? Nein. Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Ich kann erst dann gehen, wenn ich ihn gesehen habe.«
    »So meine ich es nicht. Gehst Du mit in den Wild?«
    »Ich bin im Walde. Was soll ich im Wild?«
    »Kräuter suchen, Zarba.«
    »Kräuter? Wozu? Um Kranke zu heilen? Was hilft ihnen das? Sie müssen dennoch gehen, früher oder später.«
    »Auch ist Versammlung im Walde – –«
    Jetzt öffnete sie für einen kurzen Augenblick die Lider und frug: »Versammlung? Wer?«
    »Die Deinen. Du bist ja die Königin und heute ist Freitag!«
    »Die Meinen? Wo sind sie? Sie sind Könige und Fürsten geworden; sie brauchen mich nicht. Und der, welcher mich braucht, ist weit fort auf dem Meere. Vielleicht haben ihn die Fluthen verschlungen – er ist gegangen.«
    Da theilte sich ihnen gegenüber das Gebüsch. Zwei Männer traten auf die Blöße und kamen auf das Haus zugeschritten. Tirban legte die Hand über die Augen, um die Nahenden besser betrachten zu können.
    »Wer ist das?«
    Die Alte hörte das Geräusch der Schritte.
    »Tirban, wer kommt?« frug sie.
    »Zwei Leute.«
    »Kennst Du sie?«
    »Noch nicht. Meine Augen sind schwach geworden.«
    Der Vordere der Beiden hielt den Schritt an und blickte scharf nach den zwei Alten; dann kam er in raschen Sprüngen herbei.
    »Zarba!« rief er, die Hände ausstreckend.
    Da fuhr sie mit einem schnellen Rucke in die Höhe. Ihre Augen öffneten sich groß und weit, und ihre Stimme klang hell und jubelnd: »Karavey! Bruder!«
    Im nächsten Augenblick lagen sie sich in den Armen, doch war sie so schwach, daß er sie wieder auf das Bündel niederlassen mußte.
    »Er ist da,« hauchte sie. »O, nun kann ich gehen – wie die Sterne, wie die Stunden und wie die Blumen.«
    »Sei stark, Zarba,« bat er sie. »Blicke mich an!«
    Sie sah ihn lange, lange mit ihren großen glanzlosen Augen an.
    »Fandest Du die Insel?« frug sie dann wie sich besinnend.
    »Ja.«
    »Und die Schätze, das Gold, die Diamanten und Steine?«
    »Ja.«
    »So sind die Geister erlöst, die sie bewachen sollten. Hast Du Alles mitgebracht, Karavey?«
    »Alles! Zarba, es sind Millionen!«
    Sie nickte gleichgiltig mit dem Kopfe.
    »Thue Gutes mit ihnen, Karavey, damit es ein heller Stern sei, auf dem wir uns wiedersehen werden!«
    »Ja, Zarbal Gutes will ich thun, zunächst an Dir. Ich nehme Dich fort aus dem Walde. Du sollst in einem Paläste wohnen, wo Deine Füße über die herrlichsten Teppiche gleiten und hundert Diener Deine Befehle erfüllen sollen.«
    Sie schüttelte langsam den Kopf.
    »Das werde ich nicht. Zarba wird den Wald nicht verlassen, sondern da liegen und ruhen, wo sie gewandelt hat. Ich habe die Göttin gebeten auf Dich warten zu dürfen; heut bist Du gekommen und heute wird sie mich zu sich rufen. Reiche mir Deine Hand; ich gehe fort!«
    »Das wirst Du nicht, Zarba. Ich brauche Dich.«
    »Mich? Was soll ich?«
    »Du sollst Deinen Leuten befehlen uns zu helfen.«
    »Hilfe willst Du? Wobei?«
    »Wir suchen den tollen Prinzen.«
    Jetzt öffnete sie die Augen wieder.
    »Ihn? Ihn? Wo war er? Was hat er gethan?«
    »Er war in Helbigsdorf und hat das Schloß abgebrannt, um die Tochter des Generals zu entführen.«
    Da richtete sie sich wieder empor.
    »Entführen? Sie, die Taube? Er, der Geier? Ist es ihm gelungen?«
    »Ja. Er ist in einem Wagen mit ihr entflohen. Wir glaubten, er würde bei Wiesenstein über die Grenze gehen und haben ihm zwei tüchtige Männer nachgesandt; ich aber bin mit dem Steuermanne zu Dir geeilt um auch die andern Wege besetzen zu lassen.«
    Da griff sie zum Stocke. Ihre Gestalt stand aufrecht wie in ihren früheren Jahren; ihre Augen bekamen Glanz und Leben; eine plötzliche Energie schien sie um fünfzig Jahre zu verjüngen.
    »Kommt! Schnell!«
    Sie schritt kräftig über die Blöße dahin, die Andern folgten ihr. Sie drang in den Wald ein, ohne sich um die Aeste und Zweige zu bekümmern, welche ihr in das Gesicht schlugen, bis sie eine enge Schlucht erreichten, in welcher zwölf Männer saßen, denen es beim ersten Blicke anzusehen war, daß sie Zigeuner seien. Sie erhoben sich bei

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