Die Kälte Des Feuers
Schränken zu Hause war die Kleidung erst nach der Jahreszeit, dann nach Anlaß (förmlich, halboffiziell und leger) und schließlich nach Farbe sortiert. Wenn die Welt darauf bestand, chaotisch zu sein, wenn ihr selbst der Journalismus kein geeignetes Werkzeug lieferte, um Ordnung zu schaffen … Das hinderte sie nicht daran, sich auf Routine und Angewohnheit zu verlassen, um im Ozean der Verwirrung eine persönliche Insel der Stabilität zu schaffen, auf der sie vor dem tumultartigen Durcheinander des Lebens geschützt blieb.
Das Jod brannte.
Holly wurde noch wütender. Sie kochte regelrecht.
Unter der Dusche hatten sich einige kleine geronnene Klumpen in den tieferen Wunden an der rechten Seite aufgelöst, und darunter quoll frisches Blut hervor. Eine Zeitlang blieb Holly still auf der Bettkante sitzen und hielt ein Papiertaschentuch auf die Kratzer, bis die Blutung nachließ.
Als sie sich angezogen hatte, lohfarbene Jeans und eine smaragdgrüne Bluse trug, war es halb acht.
Sie wußte bereits, wie sie den Tag beginnen wollte. Ihr Beschluß stand fest; nichts konnte sie davon abbringen. Sie verspürte überhaupt keinen Appetit, und deshalb entschied sie, auf das Frühstück zu verzichten. Als sie nach draußen trat, erwarteten sie ein wolkenloser Morgen und eine selbst für das Orange County milde Temperatur. Doch das angenehme Wetter wirkte keineswegs besänftigend auf sie, es führte sie nicht in Versuchung, stehenzubleiben und den Sonnenschein zu genießen. Sie steuerte ihren Mietwagen über den Parkplatz, erreichte die Straße und fuhr in Richtung Laguna Niguel, in der festen Absicht, an Ironhearts Tür zu klingeln und Antworten von ihm zu verlangen.
Sie wollte seine ganze Geschichte, eine Erklärung dafür, wieso er wußte, wann bestimmte Menschen der Tod drohte und warum er sich so großen Gefahren aussetzte, um Fremde zu retten. Damit noch nicht genug. Sie wollte auch herausfinden, warum ihr Alptraum in der vergangenen Nacht schreckliche Wirklichkeit geworden war, wie und warum die Schlafzimmerwand wie feuchtes Fleisch geglänzt und pulsiert hatte, was für ein Wesen sich plötzlich manifestierte und sie mit echten Klauen gepackt hatte.
Nicht eine Sekunde lang zweifelte sie daran, daß ihr Ironheart Auskunft geben konnte. In der vergangenen Nacht war sie zum zweitenmal mit dem Unbekannten und Übernatürlichen konfrontiert worden. Die erste Begegnung dieser Art hatte am 12. August stattgefunden, als Jim den Jungen Billy Jenkins davor bewahrte, vor der McAlbury School überfahren zu werden. Erst später begriff Holly, daß Ironheart dabei direkt aus der Twilight-Zone gekommen war. Sie brachte die Bereitschaft mit, sich selbst ihre Schwäche einzugestehen, aber Dummheit gehörte gewiß nicht dazu. Nur ein kompletter Idiot hätte keine Verbindung zwischen den beiden paranormalen Ereignissen gesehen: hier Ironheart und dort ein real werdender Alptraum.
Holly war nicht nur verärgert, sondern stinksauer.
Als sie über den Crown Valley Parkway fuhr, dachte sie daran, daß es auch noch einen anderen Grund für ihren Zorn gab. In der großen Story, von der sie sich einen Durchbruch in ihrer journalistischen Karriere erhoffte, ging es nicht nur um Mut, Hoffnung, Wunder und Triumph über den Tod. Wie bei vielen anderen Artikeln, die seit dem Erfinden der Druckerpresse auf den Titelseiten der Zeitungen erschienen waren, gab es auch in diesem Fall einen dunklen Aspekt.
Jim duschte und zog sich für die Kirche an. Er war kein regelmäßiger Besucher der Sonntagsmesse und nahm auch nicht mehr an den zeremoniellen Ritualen der anderen Religionen teil, die im Laufe der Jahre sein Interesse geweckt hatten. Aber seit dem letzten Mai, als er nach Florida geflogen war, um Sam und Emily Newsome zu retten, wurde er von einer höheren Macht beherrscht - Grund genug, um öfters über Gott nachzudenken. Er erinnerte sich an Pater Geary und die Stigmata, die der Priester an ihm beobachtet hatte, als er vor einer knappen Woche bewußtlos vor dem Altargeländer der Kirche Jungfrau Maria in der Wüste lag. Die Wundmale Jesu Christi… Zum erstenmal seit einigen Jahren spürte Jim wieder den Reiz des Katholizismus. Eigentlich glaubte er nicht, daß er in der Kirche eine Möglichkeit fände, die Rätsel der letzten Ereignisse zu lösen, aber er konnte wenigstens hoffen.
Er ging in die Küche, und als er dort die Autoschlüssel vom Haken nahm, hörte er sich sagen: »Rettungsleine.« Sofort änderten sich seine Pläne für
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