Die Kälte in dir (German Edition)
Raum links von ihr verwiesen. Auf halbem Weg kam ihr ein Mann entgegen. Er begrüßte sie mit einem Lächeln und einem festen Händedruck, der eine Sekunde länger währte, als die Höflichkeit es verlangte, und stellte sich als Nikolaus Gentner vor.
Der groß gewachsene Architekt mochte Ende vierzig sein und sah verteufelt gut aus. Braun gebrannt, grau meliertes, volles Haar und ein Grübchen im Kinn. Nicht nur die Fältchen um seine dunkelbraunen Augen machten ihn interessant. Kristina bedauerte, dass sie vor ihrem Besuch nicht noch einmal in einen Spiegel gesehen hatte. Die Hetzerei kreuz und quer durch die Stadt war ihrem Aussehen sicherlich nicht förderlich gewesen. Das Haar fühlte sich zerzaust an, doch jetzt darüberzustreichen erschien ihr plump. Außerdem spürte sie den Schweiß auf Stirn und Wangen, der mit Sicherheit unangebracht glänzte. Um von ihrem Äußeren abzulenken, zeigte sie ihm den Dienstausweis.
»Polizei?«, fragte er nur, ohne seinen charmanten Ausdruck zu verlieren. »Ich hoffe, nicht wegen der vielen noch offenen Strafzettel? Das Parken hier in der Ecke ist eine Katastrophe, seit die Stadt meinte, diese Parkraumbewirtschaftung einführen zu müssen.«
»Ich kann Sie beruhigen, Verkehrsdelikte sind nicht mein Ressort«, gab sie ihm zu verstehen, nicht ohne einen kurzen Stich im Herzen zu spüren. Es war schon eine Weile her, seit sie zuletzt an ihren Führerschein gedacht hatte.
Nikolaus Gentner bot ihr Wasser an, und sie folgte ihm in sein Büro. Trotz der gläsernen Fassade war die Wärme erträglich. Neben dem Schreibtisch beanspruchte ein ausladendes Zeichenbrett, wie man es bei einem Architekten erwartete, den größten Teil des Raums.
»Ich gönne mir noch ein bisschen Nostalgie«, sagte er, als er ihren Blick sah. »Meine Häuser und Gebäude plane ich heute ausschließlich hiermit«, erklärte er und tätschelte den Monitor, der auf dem Schreibtisch stand.
Während sie auf der schwarzen Ledersitzecke Platz nahm, holte er Wasser aus der Büroküche nebenan.
Für einen kurzen Moment dachte sie an Dr. Bennour und seinen Bambushain vor dem Fenster.
Gentners Charme wirkte weniger gekünstelt, und kaum ertappte sie sich bei dieser Annahme, gesellte sich das Misstrauen dazu. Neutralität war nicht ihre Stärke. Das war das Einzige, was Albrecht Holle stets an ihr bemängelt hatte: dass sie eine noch bessere Ermittlerin abgeben würde, wenn sie den Leuten unvoreingenommener begegnete. Zumindest bis ersichtlich wurde, auf welcher Seite der Gesellschaft die jeweilige Person tatsächlich stand.
Der Architekt kam zurück und reichte ihr ein Glas mit kaltem Wasser. Ganz ohne Himalayagletschereis und Limetten. Es tat trotzdem gut. Er setzte sich ihr gegenüber in den Ledersessel.
»Ich nehme an, es geht um Bruno?«, eröffnete er. »Ein Kollege von Ihnen hat mich dazu bereits telefonisch befragt. Er wollte mir allerdings nicht verraten, was passiert ist. Ist Bruno etwas zugestoßen?«
Kristina stellte ihr Wasser auf den kleinen Glastisch zwischen ihnen. »Wir suchen ihn als wichtigen Zeugen, mehr darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Es war für mich überraschend zu hören, dass er wieder in Deutschland ist. Daher glaube ich nicht, Ihnen wirklich helfen zu können«, sagte er und zog die Mundwinkel nach unten, um sein Bedauern zu signalisieren.
»Bruno Schwarz ist seit etwa drei Monaten aus Afrika zurück. Nur leider fehlt von ihm seit letzter Woche jede Spur. Ich hege daher die Hoffnung, Sie könnten Informationen für uns haben. Ich meine, Sie müssen ihn früher sehr gut gekannt haben. Immerhin war er Ihr Geschäftspartner.«
Gentner lachte. Nun war klar, woher die Fältchen um die Verführeraugen kamen.
»War eine schöne Zeit mit anspruchsvollen Projekten. Zumindest für dieses junge Team, das wir damals bildeten. Bruno und ich haben uns an der Uni kennengelernt und bald festgestellt, dass unsere Ideen sich gut ergänzten. Da war es naheliegend, sich zusammenzutun. Bruno hatte etwas Geld geerbt. Seine Eltern waren früh verstorben. Bei einem Autounfall. Tragische Geschichte, er war damals fünfzehn. Eine Tante hat sich danach um ihn gekümmert, aber kaum war er achtzehn, hat er es allein versucht. Mit seinem Erbe finanzierte er sein Studium, und es war hinterher noch genug übrig, um die Firma zu gründen. Ich habe immer sehr bedauert, dass er gegangen ist.«
»Haben Sie ihn ausbezahlt?«
»Es blieb mir keine andere Wahl. Aber wir sind damit im Reinen, falls Sie darauf
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