Die Kälte in dir (German Edition)
Nippes. An den Wänden hingen großflächige Stofftücher, dazwischen klebten Poster von Bands und Musikern, von denen er noch nie gehört hatte. Schräge, abgedrehte Gestalten, in Lack und Leder gehüllt und mit zur Unkenntlichkeit geschminkten Gesichtern. Das Mobiliar bestand aus zusammengewürfeltem Sperrmüll, und der Geruch von Duftkerzen und Räucherstäbchen schwebte in der warmen Luft.
Daniel umklammerte die Wasserflasche und legte den Kopf in den Nacken. Er versank immer tiefer in den weichen Sofakissen, während die Laborassistentin an ihrem kleinen Esstisch saß und ihn besorgt und gleichwohl erwartungsvoll betrachtete.
Neben ihr lag der Umschlag. Ihr Daumen strich fortwährend über eine der Ecken, als könne sie damit bewirken, dass sich das Kuvert von allein öffnete.
»Geht’s wieder?«, fragte sie, nachdem eine weitere Minute verstrichen war, in der er wie versteinert dahockte, und sie möglicherweise Angst bekam, er könne dahinscheiden.
Daniel wusste nicht, ob er jemals wieder von dieser bunten, unförmigen Couch hochkäme, aber er nickte.
Sie warf ihm den Umschlag zu. Er prallte gegen Daniels Brust und landete in seinem Schoß. Er tastete danach und drückte mit Daumen und Zeigefinger dagegen.
»Hast du einen Rechner?«
Franka grinste und holte einen Laptop aus einer Tasche, die am Tischbein lehnte. Sie stellte ihn vor sich und klappte ihn auf.
»Latexhandschuhe?«
Die kleine Punklady erhob sich von ihrem Stuhl, verschwand im Bad und kam keine zehn Sekunden später mit einer Schachtel Einweghandschuhe zurück.
»Gibt’s da nicht Spezialisten, die so was bei euch machen?«, fragte sie und hielt ihm die Packung hin.
Er zupfte zwei Gummihandschuhe aus der Box, die sie wohl aus dem Labor hatte mitgehen lassen.
»Du willst doch auch wissen, was drauf ist«, antwortete er und fummelte seine Finger in den engen Latex.
Seine Bewegungen kamen ihm nach wie vor unkoordiniert vor. Er musste irgendwie von diesem Sofa aufstehen und zum Tisch gelangen, um den Umschlag einigermaßen sauber zu öffnen.
Mühsam stemmte er sich hoch. Franka machte einen Schritt auf ihn zu, doch er winkte ab.
»Du bist dir sicher, dass alles in Ordnung ist? Dein Kreislauf sollte mittlerweile wieder da sein.«
Ohne auf ihre Frage einzugehen, stapfte er zu dem freien Stuhl und plumpste ungelenk darauf. Er wischte ein paar Brotkrumen fort und legte das Kuvert vor sich auf den Tisch. Von irgendwoher zauberte Franka ein Skalpell in ihre Hand und wedelte damit vor seiner Nase herum. Weiteres Laborinventar, nahm er an.
»Was brauchen wir noch die Spusi bei deiner Ausstattung«, murmelte er und langte nach dem Chirurgenmesser.
Behutsam schlitzte er die Lasche auf und hob den Umschlag hinten an. Es war keine große Überraschung, dass eine CD in einer Klarsichthülle herausrutschte.
Franka öffnete voller Erwartung den Schacht des Lesegeräts an ihrem Laptop. Daniel nahm den Datenträger aus der Hülle und legte ihn auf den Schlitten. Mit einem satten Schlürfen schluckte der Rechner die CD . Einen Wimpernschlag darauf summte das Gerät im gewohnten Ton.
Statt des Programms sprang nach weiteren fünf Sekunden ein Fenster auf, das verkündete, dass die Datei nicht gelesen werden konnte.
Das Opfer war männlich. Todesursache: der Schuss aus nächster Nähe, der seitlich in die Schläfe eingedrungen war und einen Teil der hinteren Schädelplatte beim Wiederaustritt mitgerissen hatte. Die Kugel konnte in der Rückwand der Fahrerkabine des Kastenwagens sichergestellt werden. Über die Fahrzeugnummer im Motorblock wurde das Fahrzeug dem Halter Jakub Piecek zugeordnet.
Die Leiche wurde abtransportiert. Dr. Wuppermann wollte keine Zeit verlieren. Die Personalien des älteren Paars waren erfasst. Obwohl sie nichts von dem Toten im Laderaum des Wagens wussten, waren sie aufgewühlt und klammerten sich immer noch aneinander. Auf ihrem Spaziergang war ihnen niemand begegnet. Kristina erhielt damit dieselbe Aussage wie immer bei dieser Mordserie. Sie kündigte an, sich bei dem Paar zu melden, falls noch Klärungsbedarf bestand, und wies eine Streife an, die zwei heimzufahren.
Mittlerweile war auch die Kugel auf dem Weg in die Ballistik. Irgendjemand hatte Kristina Mückenspray in die Hand gedrückt, aber das schreckte die lästigen Blutsauger nicht ab.
Im Moment konnte Kristina vor Ort nichts mehr tun. Da Sampo und seine Leute noch eine Weile beschäftigt waren, blieb nur Thorwald Decher, mit dem sie zurück in die Direktion
Weitere Kostenlose Bücher