Die Kälte in dir (German Edition)
Mädchengesicht, von braunen Locken umrahmt, erschien im Türspalt.
»Klara, du sollst doch nicht ohne mich aufmachen!«, hallte es aus dem Flur hinter dem Mädchen, das ihnen unbeeindruckt frech entgegengrinste und sie aus großen, dunklen Augen musterte. Sommersprossen auf der Stupsnase, genau wie ihr Vater.
Diese Beobachtung versetzte Kristina einen Stich. Bevor sie sich in der Lage fühlte, etwas zu sagen, tauchte Martina Lorenz hinter ihrer Tochter auf.
»Haben Sie ihn gefunden?«, fragte sie, ohne überrascht darüber zu wirken, dass die Polizei ein zweites Mal an diesem Tag vor ihrer Tür stand.
Der Akku war leer. Daniel hatte vergessen, sein Handy aufzuladen, nachdem er aus dem Krankenhaus zurückgekommen war. Nun konnte er sich nicht einmal ankündigen. Aber der Serientäter ließ keinen geregelten Feierabend zu, und bei den fünf Tatorten dürfte die Fülle der Indizien unüberschaubar geworden sein.
Mit der CD in seiner Tasche hatte er von Franka Steffens Wohnung aus die Stadtbahn zum Hauptbahnhof genommen und war von dort aus mit dem Zug weiter nach Waiblingen gefahren. Jetzt saß er im Bus hinunter in die Stadt. Die Schmerzen in seinen Beinen waren wieder heftig, aber er wagte nicht, sich noch einmal mit den verhängnisvollen Tabletten zu betäuben. Das Ruckeln des Busses verstärkte das Brennen in den Unterschenkeln, und er biss die Zähne zusammen.
Die zweihundert Meter zur Polizeidirektion wurden zur schweißtreibenden Tortur.
Vor dem Eingang lungerten Journalisten herum, immer und allzeit bereit, von der neuesten Entwicklung in Sachen Remstalschlächter zu berichten. Er zählte drei Männer und zwei Frauen, die mit Kameras und Mikrofonen ausgerüstet waren. Die Armada von Übertragungswagen diverser Sendestationen, die auf der anderen Seite am Remsufer parkten, war wieder angewachsen.
Wenn er unbehelligt ins Präsidium wollte, dann über die Tiefgarage. Das hieße jedoch, etliche Meter weiter am Gebäude entlangzulaufen. Dafür waren seine Beine nicht mehr zu gebrauchen. Also schlurfte er mit gesenktem Blick auf die Reporter zu.
Ihm war bewusst, wie beschissen er aussah. Sie würden zwangsläufig auf ihn aufmerksam werden. Schweren Herzens entschied er daher, in die Offensive zu gehen, und sah den Journalisten mit erzwungenem Grinsen herausfordernd entgegen. Er konnte es selbst nicht fassen, aber seine Masche ging auf. Die Reporter zeigten plötzlich keine Ambitionen mehr, ihm ihre Mikros entgegenzustrecken. Typen, die unbedingt ins Fernsehen wollten und sich deshalb in jeden Kamerafokus drängten, obwohl sie überhaupt nichts zum Geschehen beizutragen hatten, bekamen die Medienvertreter in den letzten Tagen zur Genüge vor die Linse. Sie machten ihm Platz, und er schleppte sich hinkend durch den Eingang.
Der Uniformierte am Empfang sah kurz auf, als Daniel ihm seinen Ausweis zeigte. Wenn der Diensthabende sich über den verschwitzten, blassen Kerl mit der zerzausten Frisur wunderte, behielt er es für sich. Erst als sich Daniel erschöpft auf den Tresen stützte, um die Beine zu entlasten, zuckte der Beamte zusammen.
»Ist der Kriminaltechniker noch im Haus?«, fragte Daniel, weil ihm der Name nicht einfallen wollte. Kristina hatte sie einander nicht wirklich vorgestellt.
»Meinen Sie Sampo Hietaniemi?«, fragte der Polizist stirnrunzelnd, und Daniel nickte. Der Mann griff zum Hörer und wählte eine Nummer.
Sekunden verstrichen, und Daniel fühlte die Enttäuschung und den Ärger heranbranden. Er hatte sich umsonst hierher gequält.
»Da ist ein Herr Wolf für dich«, hörte er den Polizisten dann doch noch sagen.
Erleichtert stieß Daniel die Luft aus. Er musste in den Keller. Auf dem Weg zum Aufzug bekam er plötzlich Bammel, Kristina zu begegnen. Mit einem Mal fühlte es sich an, als wäre er widerrechtlich hier eingedrungen. Immerhin hatte er aufs Neue unerlaubt in ihrem Fall herumgestochert. Erst als die Fahrstuhltür sich hinter ihm schloss, ohne dass ihn jemand behelligte, entspannte er sich etwas.
Das Labor der kriminaltechnischen Abteilung war ausgeschildert. Hietaniemi erwartete ihn an der Tür. Der Spurensicherer sah überrascht aus, wohl nicht so sehr darüber, dass Daniel ihm einen Besuch abstattete, als vielmehr über die Art, wie er den Gang entlangtorkelte.
»Suchst du Kristina?«, fragte er.
»Ich will zu Ihnen«, presste Daniel mühsam hervor. Er holte die CD aus der Tasche und hielt sie dem Forensiker vor die Nase. »Achterberg hat das Ding seiner Mitarbeiterin
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