Die Kälte in dir (German Edition)
fahren konnte.
Sie stieg zu ihm in den Wagen. Er hatte eine dicke Pustel auf dem linken Ohrläppchen und ein paar leuchtend rote Stiche auf seinen haarigen Unterarmen, an denen er herumkratzte, während er den Motor startete. Sicher bereute er, seine Hemdsärmel hochgekrempelt zu haben. Wie zu erwarten, drehte er die Klimaanlage bis zum Anschlag auf. Spätestens auf der Hauptstraße würde der kühlende Effekt einsetzen. Dann musste sie den eisigen Hauch fünf Kilometer lang ertragen.
»Was denken Sie, wer es ist?«, fragte der Hauptkommissar.
Der Wagen schaukelte durch die Schlaglöcher des Bewirtschaftungswegs. Der Wald öffnete sich und sie kamen auf freies Feld. Rechts von ihnen stieg das Gelände steil an. In der gleißenden Sonne leuchtete der Kalkstein hellgelb bis ockerfarben.
»Wir haben zwei Kandidaten zur Auswahl«, antwortete sie.
»Achterberg oder Lorenz«, vervollständigte Decher, und sie nickte.
Der Wagen zog eine weiße Staubfahne hinter sich her. Sie erreichten den Ort Neckarrems. Uniformierte Kollegen gingen in der Straße, die zum Steinbruch führte, von Haus zu Haus und befragten die Anwohner zu dem ausgebrannten Lieferwagen, der hier vorbeigekommen sein musste. Irgendwann im Laufe der vergangenen Nacht. Der Täter musste das Feuchtbiotop auf demselben Weg wieder verlassen haben. Zu Fuß, wie Kristina annahm. Zur Stadtbahnhaltestelle in Remseck waren es rund zwei Kilometer. Einmal durch den kompletten Ort, entlang der Uferpromenade, die auch nachts beleuchtet war.
Kristina hegte trotzdem keine große Hoffnung, dass jemand etwas beobachtet hatte. Sie sah es vor sich: eine Person, die am Ufer entlanggeht. Unauffällig und ohne große Eile. Wer schaute da schon genau hin? Außerdem nahm sie an, dass die Leute, die hier direkt am Fluss wohnten, nach Sonnenuntergang ihre Türen und Fenster geschlossen hielten. Wegen des Ungeziefers, das ein entsetzlich brennendes Jucken überall auf der Haut zurückließ.
Wie befürchtet kroch nach der halben Wegstrecke die Kälte aus der Klimaanlage und strich mit eisigen Fingern über sie hinweg. Die Beklemmung trieb ihren Pulsschlag nach oben. Das Denken fiel ihr schwerer, trotzdem erinnerte sie sich daran, dass Daniel versucht hatte, sie zu erreichen. Doch noch saß sie neben dem SoKo-Leiter im Wagen fest, und sollte die Fahrt nicht bald zu Ende sein, würde sie wegen des Schweißes auf ihrer Haut an dem schwarzen Ledersitz festfrieren.
Die künstliche Kälte weckte Dämonen in ihr. Sie kamen aus ihrem Unterbewusstsein, dort, wo sie ihre Ängste gesammelt hatte, die sie wie ein Kriegsleiden mit sich herumschleppte. Was würde im Laufe ihres Polizistinnenlebens noch alles dazukommen?
»Der Doktor, der Biologe und der Architekt. Worauf läuft das hinaus?«, knüpfte der LKA -Beamte kurz vor Waiblingen wieder an das Gespräch an, das eigentlich nie eins geworden war, weil allem Anschein nach auch er mit dem Sortieren von Gedanken beschäftigt war.
»Haben Sie was von Frau Osswald gehört?«, redete Decher in ihre Überlegungen hinein.
Kristina schüttelte den Kopf.
16
Sampo platzte in die Teambesprechung und verkündete ohne Aufforderung, wer in dem Lieferwagen im Steinbruch zur Unkenntlichkeit verbrannt war.
Dr. Arthur Lorenz.
Der SoKo-Leiter verschob das Foto auf dem Whiteboard von den Verdächtigen zu den Opfern. »Was hat die Ballistikuntersuchung ergeben?«
Sampo setzte sich an den Besprechungstisch und blätterte in seinem Ordner. »Acht Millimeter, eine Pistole vom Typ Mauser mit diesem Kaliber ist auf Egon Osswald zugelassen.«
»Die Waffe, die wir nicht in seinem Haus gefunden haben, nehme ich an?«, fragte Decher zurück.
Sampo nickte.
»Unser Täter hat sie also mitgehen lassen«, ergänzte Ralf Winkler und sprach damit laut aus, was alle anderen dachten.
Der Kreis schloss sich, Bruno Schwarz und Hannes Achterberg standen im Zentrum der Inszenierung, die nun fünf Menschen das Leben gekostet hatte. Fünf, von denen sie wussten.
»Hast du schon ein Ergebnis, was die Untersuchung der Reagenzien betrifft?«, fragte Kristina deshalb.
Sampo schüttelte den Kopf. »Ist nicht so trivial, wir mussten das ins Labor nach Stuttgart geben.«
»Das dauert alles zu lang«, kritisierte Decher.
Möglicherweise hatte er nur zu laut gedacht, aber Sampo fühlte sich angegriffen.
»Wir haben fünf Tote, an unterschiedlichen Tatorten, und das innerhalb einer Woche. Im Labor stapelt sich eine Fülle an Indizien, die wir in dieser Menge sonst in einem
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