Die Kälte in dir (German Edition)
Täter dürfte dieses Krankheitsstadium schon vor seinem ersten Mord erreicht haben, überlegte Daniel. Womit er zum jetzigen Zeitpunkt schon weit darüber hinaus war.
Keine Erkenntnis, die Daniel half, sich zu beruhigen.
Er hatte genug gesehen. Jetzt musste unverzüglich ein Telefon her. Die Flucht aus dem Büro antretend entdeckte er die Schnipsel.
In seinem Hirn ratterten die Zahnräder auf Hochtouren. Hatte der Mörder doch gefunden, wonach er suchte? Kam daher die Rage, der Ausraster, dem das Inventar zum Opfer gefallen war?
Er bückte sich nach den zerfetzten Papierstücken. Das Dokument war alt. Es war noch mit Schreibmaschine ausgefüllt worden. Der Stempel des Standesamts war beinahe zur Unkenntlichkeit verblichen.
Auf den Unterschenkeln hockend, fügte Daniel vier Teile der zerrissenen Urkunde zusammen, bis er verstand, was er da vor sich hatte. Wieso hatte diese Entdeckung den Mörder zu dieser exzessiven Reaktion getrieben?
Kristina würde es wissen, beschloss er und war im Begriff, sich aufzurichten. Er konnte nicht unterscheiden, was er zuerst bemerkte. Das Geräusch in seinem Rücken oder den brennenden Stich im Nacken.
Es spielte keine Rolle. Die Zeit reichte nicht mehr aus.
»Er ist wie ein Reptil, ein Kaltblüter. Wenn es heiß genug ist, kriecht er aus seinem Loch. Verstehen Sie?«
Thorwald Decher betrachtete sie abschätzend.
»Bruno Schwarz hat nach der Tötung von Egon Osswald nicht nur dessen Pistole an sich genommen …«,
ganz abgesehen von dem Bauchfett
, dachte sie, »… sondern auch den Schlüssel für die Villa. Er hat es geplant. Von Beginn an. Nachdem die meteorologischen Vorhersagen eine stabile Hochwetterlage ankündigten, entfachte er seine wahnwitzige Inszenierung. Er bestimmte den Zeitpunkt, an dem Osswald gefunden wurde. Deshalb fuhr er drei Wochen nach dem Mord erneut zum Anwesen seines ersten Opfers und öffnete das Tor.«
»Und der Hund des Nachbarn erledigte dann den Rest?«, hakte Decher nach. »Frau Reitmeier, worauf wollen Sie hinaus?«
»Da für den Täter absehbar war, dass es die nächsten Tage heiß genug sein würde, musste er nicht befürchten zu erfrieren. Schwarz war gewissermaßen handlungsfähig und konnte seinen Plan in Gang setzen. Dazu benötigte er allerdings einen verhältnismäßig sicheren Unterschlupf, da er einkalkulierte, dass wir ihn früher oder später als Mörder identifizieren. In seiner eigenen Wohnung konnte er demnach nicht bleiben. Weshalb er einen Zufluchtsort wählte, von dem er annahm, dass wir dort nicht nach ihm suchen würden.«
»Die Osswald-Villa?«
»Genau! Ein von der Polizei versiegelter Tatort. Nur, um diese Voraussetzung überhaupt zu schaffen, musste der Tote gefunden und von dort weggebracht werden. Denkbar, dass er den Hofhund der Mezgers selbst auf das Anwesen lockte und auf diese Weise nachgeholfen hat.«
»Finden Sie das nicht etwas arg konstruiert?«, wandte der SoKo-Leiter ein.
Sie merkte, wie die anwesenden Ermittler skeptische Blicke wechselten.
»Haben Sie nicht heute früh noch berichtet, dass eine Streife dort mehrmals nach dem Rechten sah? Außerdem verstehe ich immer noch nicht, was Ihre gewagte These mit dem erneuten Verschwinden des Beamten zu tun hat, der Ihnen als Fahrer zugeteilt wurde?«
Kristina geriet ins Wanken. Sie musste sich gegen den vordersten Arbeitstisch lehnen. Wollte er sie nicht verstehen?
»Die Kollegen, die heute und in den letzten Tagen bei Osswald vorbeigefahren sind, haben mir vorhin gestanden, dass sie das Grundstück nie betreten haben.«
Keine der Streifen hatte daran gedacht, diese verflixte Fernbedienung einzustecken, mit der sich das Tor öffnen ließ. Eine verhängnisvolle Nachlässigkeit, die sie wohlweislich für sich behielt. Für Schuldzuweisungen war jetzt keine Zeit. Vorerst musste sie ihre Kraft darauf verwenden, Decher verständlich zu machen, wie ernst die Lage war.
»Was Daniel Wolf betrifft: Wir haben den Dienstwagen, mit dem er vermutlich unterwegs ist, über das eingebaute GPS geortet. Er befand sich bis vor Kurzem noch im Schwäbischen Wald, keine drei Kilometer vom ersten Tatort entfernt.«
»Was heißt bis vor Kurzem?«, wollte Decher wissen und zerrte an seinem Krawattenknoten.
»Bis zu dem Moment, als das Signal verschwand«, half Sampo aus, der neben sie getreten war.
Thorwald Decher erhob sich, stapfte um seinen Schreibtisch herum und kam auf sie zu. »Wie kann so was passieren?«, zischte er, als er nur noch einen Meter von ihr entfernt
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