Die Kälte in dir (German Edition)
das Schwarz hinterlassen hatte.
Der Architekt hatte Anfang Juli begonnen. Dann wartete er beinahe drei Wochen, bevor er weitermachte, und es folgten vier Morde innerhalb einer guten Woche, als wäre eine unverständliche Hektik ausgebrochen. Sie hatte das bislang immer dem Umstand zugeschrieben, dass mit dem Entdecken der Leiche von Egon Osswald der Ermittlungsapparat der Polizei angeworfen worden war. Der Täter war dadurch unter Druck geraten. Hinzu kam seine Krankheit, die womöglich ein Stadium erreicht hatte, das ihm keine Wahl mehr ließ. Er musste sich Fett beschaffen, um sein Überleben zu sichern.
Trotz des psychischen und physischen Drucks, unter dem er stehen musste, ging er äußerst überlegt vor. Abgesehen von der Brutalität, die er beim Töten selbst an den Tag legte, benahm er sich davor und danach höchst diszipliniert. Ganz im Stile eines planenden, hochintelligenten Serienkillers, mit dem Intellekt und den akademischen Graden gesegnet, die Profilstudien diesen Leuten andichteten.
Schwarz agierte kalkulierend, vorausschauend und so, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Und mit einem Mal, und noch während sie ihre Überlegungen zwischen ihren Gehirnhälften hin und her jonglierte, wusste Kristina es.
Es war immer da gewesen, sie hatte es bis jetzt nur nicht bemerkt. Wie einfältig, wenn man bedachte, wie oft sie sich in den vergangenen Tagen darüber echauffiert hatte.
Sie ging zu einem Kollegen an den Computerterminals. »Kannst du mir kurz die Osswald-Akte aufrufen?«, bat sie.
Nach einem kurzen, verdutzten Zögern suchte der Beamte den entsprechenden Ordner im System. Kristina brauchte keine Minute, um sich ihre Bestätigung zu holen. Da stand es. Seit dem ersten Tag der Ermittlung.
Sie sah sich um. Decher telefonierte immer noch. So zurückhaltend wie es ihre Ungeduld zuließ, durchschritt sie den Krisenraum und trat hinaus auf den Gang. Sie musste nachdenken, und dazu war das Gewusel im Krisenraum zu störend. Was bedeutete ihre Entdeckung für Louise Osswald? Oder für Hannes Achterberg? Und es konnte durchaus noch mehr geben, für die die Hitze des Sommers den Tod brachte.
Zurück im Büro checkte sie die Wettervorhersage im Internet. Der Gewittersturm, der von Westen heranstampfte, schleppte eine Kaltfront hinter sich her. Ein Temperatursturz von bis zu zwanzig Grad wurde prognostiziert. Heute war der letzte heiße Tag, unter Umständen für den Rest des Sommers.
Ihr Telefon vibrierte. Sie kannte die Nummer. Es war Monate her, dass sie auf ihrem Display aufgeleuchtet war.
Verwundert nahm sie das Gespräch entgegen.
»Störe ich?«, fragte Yolanda Holle.
»Nein, ich bin nur … jetzt noch mehr verwirrt.«
»Du hast gedacht, er ist es? Tut mir leid«, entschuldigte sich die Frau.
»Nein, Unsinn. Ich hätte mir ja denken können, dass er mich nicht anrufen kann«, gestand Kristina.
»Glaub mir, er würde alles dafür geben, wenn er es könnte.«
Plötzlich durchlief sie ein Schauder. »Ihm ist doch nichts passiert?«
»Nein, nein«, wandte Yolanda ein. »Er hat nur keine Ruhe gegeben, bis ich zum Telefon gegriffen habe. Was immer du ihm auch beim letzten Besuch erzählt hast, es hat ihn ziemlich beschäftigt.« Der Vorwurf war nicht zu überhören.
»Ich weiß, du hast mich noch ermahnt, aber … Nein, es gibt keine Ausrede«, sagte Kristina, um dann umgehend auf den Punkt zu kommen. »Was sollst du mir ausrichten?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe, aber ich werde es wissen, denn er sitzt neben mir und beäugt mich wie ein Oberlehrer seine Schülerin während der Klausurprüfung. Die ganze Zeit über versucht er, mir was von einem Hund weiszumachen, den jemand hereingelassen hat.« Yolandas Stimme wurde leise, weil sie wohl die Sprechmuschel mit der Hand abdeckte. »Hab ich das richtig erzählt?«, hörte Kristina sie fragen.
Sie stellte sich vor, wie der Hauptkommissar mit kritischem Blick nickte.
»Ja, das war es wohl im Großen und Ganzen, wenn ich seine Miene korrekt interpretiere«, drang Yolandas Stimme wieder deutlich aus dem Hörer. »Kannst du damit was anfangen?«
Der Hund.
Ja, so konnte es gewesen sein. Dieser Hinweis passte in das Gefüge, das sie sich eben erst zusammengesponnen hatte. »Richte Albrecht aus, ich habe verstanden«, erklärte sie, verabschiedete sich und trennte die Verbindung.
Die Hinweise lagen auf dem Tisch, offen wie ein hingeblättertes Full House, bevor man den Gewinn einsackte. Sie wagte nur nicht
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