Die Kälte in dir (German Edition)
hat Bruno Schwarz nun endgültig nichts mehr zu verlieren. Nicht einmal sein Leben. Das macht ihn noch unkalkulierbarer.«
Als sie ankamen, stand das Tor offen.
Es kam einer Einladung gleich.
Die Spinne hockt im Netz und lauert
, dachte Kristina. Die dunkle Ahnung, dass auch Daniel sich darin verfangen hatte, kroch ihre Speiseröhre hoch.
Ralf bremste knapp vor dem Treppenaufgang zum Eingangsportal. Die weiße Fassade des Herrenhauses reflektierte auf gespenstische Weise das Blaulicht.
Kristina sprang aus dem Wagen, noch bevor der Motor abgestellt war. Der Wind zerrte an ihren Haaren. Laub und kleine Äste wirbelten durch den Garten. Die Vorboten des Sturms, der heftige Niederschläge bis hin zu Hagel und Orkanböen über das Land bringen würde.
Passt auf, es kommt was Gewaltiges auf euch zu!
»Warte!«, hörte sie ihren Kollegen rufen.
Kein Risiko. Sie hatte es vernommen. Doch sie war schon an der Tür, die widerrechtlich geöffnet worden war.
Jemand ist da drin.
»Ich fordere Verstärkung an«, rief Ralf. Der Wind blies so heftig, dass er schreien musste.
Kristina nickte und holte gleichzeitig den Schlüssel aus der Tasche, den die Kriminaltechniker vor gut einer Woche mit ins Revier genommen hatten.
»Sollten wir nicht warten?« Verunsichert betrachtete Ralf sie, dann wieder das Display seines Handys.
Es geht hier um Menschenleben
, hallte es in ihrem Kopf.
Ohne eine Antwort zu geben, ließ sie den Schlüssel ins Schloss gleiten.
Es war laut. Und heiß. Gleichzeitig auch kalt. Etwas hielt Daniel fest. Er konnte sich nicht bewegen, trotzdem drehte er sich. Oder das Universum wirbelte um ihn herum? Der Geruch von Oregano hing ihm in der Nase. Oder war es Basilikum? Thymian? Vermischt mit etwas, das feuchte Pappe sein könnte, getränkt in Hochprozentigem.
Er hörte das seltsam röhrende Pfeifen eines Elefanten. Womöglich von Ganesha höchstpersönlich, der mit jedem seiner vier Arme eine sich lasziv räkelnde Inderin umschlungen hielt. Junge Frauen mit Mehlstaubflecken in ihren Gesichtern. Sie waren da, auch wenn er sie nicht sehen konnte, egal wie oft er um seine Achse rotierte. Er sollte damit aufhören, denn er vertrug diese gleichförmige, schnelle Bewegung nicht. Deshalb war er als Kind auch nie im Kettenkarussell gefahren.
Der Schwindel schwemmte die Übelkeit aus seinem Inneren heraus. Er kreiselte wie ein in Trance tanzender Derwisch. Unfähig damit aufzuhören. Immer schneller, bis von den Seiten her Dunkelheit herankroch. Sein Sichtfeld wurde immer enger und schwärzer. Die Erkenntnis schnürte ihm die Kehle zu. Es gab nichts zu sehen, weil er wieder gefangen war.
In seinen Fieberfantasien und lebendig begraben.
In einem Blechsarg, in Motorschmiere getunkt, auch wenn sein Gedächtnis keine Antwort hatte, wieso und warum? Es musste lange zurückliegen, dass ihm dieses Grauen widerfahren war, so unendlich weit in der Vergangenheit, dass er es vergessen hatte. Vielleicht in einem früheren Leben, in das er unter unerklärlichen Umständen zurückgekehrt war. Zurück in diesen schrecklichen Sarg.
Nein!
Die Unterlage war nicht morastig, sondern hart, und das Aroma, das ihn einhüllte, roch nicht nach Rost und Getriebeöl. Vielmehr nach Hefeteig und mediterranen Gewürzen. Der Duft war versöhnlich und doch beängstigend. Mit erschreckender Gewissheit gestand sich Daniel ein, diesmal in einem Pizzakarton eingekerkert zu sein.
Unerklärlich, aber die Tatsache, dass er sich nicht bewegen konnte, stützte diese bizarre Einsicht. Geschmolzener Käse hielt ihn gefangen. Er musste über und über damit bedeckt sein. Die klebrige Masse war allgegenwärtig, sogar in seinem Kopf.
Vor allem dort.
Sie hinderte ihn daran, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, gestattete ihm nicht, sich zu erinnern, warum man ihm das antat oder wer dafür verantwortlich war.
»Wach endlich auf!«, schlug ihm jemand vor.
Eine Stimme, die er kannte, auch wenn sie nur ein raues Röcheln war. Wie von einem wilden Tier, das sich einbildete, sprechen zu können wie ein Mensch.
Daniel überlegte, ob er der Anweisung Folge leisten sollte. Aufwachen? Er schlief ja überhaupt nicht. Freilich war da diese Benommenheit, wie er sie zuletzt im Krankenhaus gefühlt hatte.
Das Krankenhaus!
Endlich eine Erinnerung, die ihm wirklich vorkam. War er immer noch dort? Er hätte sich damit abfinden können, wären da nicht diese eigentümlichen Gerüche. Und das Fehlen der unverkennbaren Geräusche. Hier gab es nur Stille, abgesehen
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