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Die Kälte in dir (German Edition)

Die Kälte in dir (German Edition)

Titel: Die Kälte in dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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agierenden Konzerns mit dem nichtssagenden Namen
Attpoes Corporation
gesessen hatte. Ein Unternehmen, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, europaweit finanzschwache Firmen aufzukaufen, um diese gewinnbringend zu veräußern. Oder durch Misswirtschaft völlig in den Ruin zu treiben, um letztlich die Zerschlagung vor der verzweifelten Belegschaft zu rechtfertigen. Wie viele Mitarbeiter durch diese Geschäftsphilosophie allein in Deutschland, dem Ressort von Egon Osswald, auf der Strecke geblieben waren, konnte zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht eingeschätzt werden. Aber die Zahl ging sicher in die Tausende. Tausend Menschen und mehr, die Osswalds Unterschrift schlimmstenfalls um ihre Existenz gebracht hatte.
    Und die damit ein Motiv erhielten.
    Einziger Schwachpunkt dieser Theorie: Der Ermordete war bereits vor zehn Jahren aus dem Unternehmen ausgeschieden. Warum hätte jemand so lange warten sollen, um Vergeltung zu üben? Es galt zu prüfen, ob jemand nach der Kündigung auf die schiefe Bahn und schließlich in die Mühlen der Justiz geraten war. Hatte die Rache bis zu einer Haftentlassung warten müssen?
    Interessant war, dass Attpoes nach dem Ausscheiden des Aufsichtsratsmitglieds Egon Osswald selbst in Schieflage geraten und von einem größeren, noch hungrigeren Konzern geschluckt worden war. Wie Finckh zu berichten wusste, kam es für die Führungsebene von Attpoes noch dicker, denn plötzlich interessierte sich auch die Steuerfahndung für die geschassten Manager. Einzig Osswald war einer Anklage entgangen. Er schaffte zur rechten Zeit den Absprung und rettete damit seinen Kopf, während der Rest der Managementebene zur Kasse gebeten wurde und es teilweise sogar Verurteilungen mit Gefängnisstrafen gegeben hatte. Ließ sich darin der Grund für sein Dahinscheiden finden? Hatte ein Jahrzehnt, nachdem der Richtspruch über seine ehemaligen Aufsichtsratskollegen gefallen war, einer der Verurteilten einen endgültigen Strich unter seine persönliche Rechnung mit Egon Osswald gezogen?
    Diese Mutmaßungen brachten eine Unmenge Ermittlungsarbeit mit sich. Das Stuttgarter Dezernat für Wirtschaftsdelikte würde ihre verstaubten Akten rüberschicken. Bestenfalls einen Kollegen abstellen, um Amtshilfe zu leisten – und dann begann die Kleinarbeit.
    Aber war das auch die Spur, die sie zum Mörder führen würde? Kurt Retter nickte zu Kristinas Ausführungen. Sie hielt aus ihrem Bericht alle Theorien heraus, die aus Intuition und Gedankenspiel entstanden waren. Ihr Vorgesetzter vertraute auf Fakten und behielt sich vor, sie nicht nach ihrer persönlichen Meinung zu fragen. Zumindest im Moment. Auch wenn Kristina sonst nicht groß etwas in Retters faltiger Mimik zu lesen vermochte – der Fund, den sie in Osswalds Keller gemacht hatten, krauste selbst die hohe Stirn ihres Chefs für eine Sekunde.
    »Todesanzeigen«, murmelte er.
    »Eine ganze Wand, zugepflastert mit Nachrufen. Außer einem Lehnstuhl war sonst nichts in diesem Kellerraum. Der Sessel war zu dieser Wand hin ausgerichtet. Osswald muss sich davorgesetzt haben, um auf die Namen der Verstorbenen zu starren. Anders kann ich das Szenario nicht interpretieren.«
    Retter kratzte sich am Kinn. »Was halten Sie davon?«
    Nun nötigte er sie doch dazu, ihre Überlegungen offenzulegen. »Es sind hundertsiebenundfünfzig Todesanzeigen, klassisch, wie man sie aus Tageszeitungen kennt. Er muss sie über Jahre gesammelt haben, da die Papierschnipsel unterschiedliche Grade des Verfalls aufweisen. Viele sind schon extrem vergilbt, andere sehen noch recht neu aus. Auffällig ist, dass etwa die Hälfte der Verstorbenen bereits relativ jung oder im mittleren Alter aus dem Leben schied. Liest man zwischen den Zeilen der Nachrufe, sind wohl viele Suizide dabei. Ich fürchte, wir müssen damit beginnen, die Namen zu überprüfen, solange wir nichts Besseres haben.«
    »Egon Osswald hat die Menschen indirekt auf dem Gewissen und kleistert sich deren Nachrufe an eine Wand in seinem Keller? Warum?«
    »Ich hoffe, aus Reue. Das Gegenteil wäre impertinent!«, entfuhr es Kristina.
    »Und wie in aller Welt soll das vonstattengegangen sein?«, hakte Retter nach.
    »Wir werden es herausfinden«, antwortete sie und erhob sich, während Retter an ihr vorbei gegen die Wand starrte.
    Man hätte ihr durchaus unterstellen können, sich rausschleichen zu wollen. Kristina blieb ungern länger als nötig im Büro des Polizeidirektors, weil sie sich stets unerwünscht vorkam, selbst wenn er sie zu

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