Die Kälte in dir (German Edition)
Ihre letzte Chance!« Mit diesen Worten trennte sein Chef die Verbindung.
Daniel lehnte sich mit dem nackten Hintern gegen die Küchenzeile und starrte auf das Display. Der Schweiß auf seinem Rücken fühlte sich an, als trockne er langsam zu einer salzigen Kruste. Es war falsch, auf Linnemann sauer zu sein, trotzdem fiel es ihm schwer, dagegen anzukämpfen. Die Misere, in der Daniel saß, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Obwohl es nicht gut für ihn aussah, ließ sein Vorgesetzter ihn nicht fallen.
Meine letzte Chance!
Sofort waren seine Gedanken wieder bei Darja. Sie war immer gegenwärtig, da musste er sich nichts vormachen. Er konnte sie verdrängen, für kurze, befreiende Momente sorgen. Sich mit anderen Frauen ablenken. Aber die Parkkralle, die sie um sein Herz gelegt hatte, ließ ihn weder vor noch zurück. Dabei ging es nicht nur um sein Herz. Sie hatte ihm weit mehr genommen.
Er schüttelte den Kopf. Es ging um seinen Job. Er musste in die Direktion, wenn er ihn behalten wollte. Es blieben ihm fünfzig Minuten, um zu duschen, sich anzuziehen und sich eine gute Ausrede einfallen zu lassen, um die Frau in seinem Bett ohne das versprochene Frühstück nach Hause zu schicken. Zog er die fünfzehn Minuten Fahrt bis ins Präsidium ab, musste er sich beeilen, wenn er seine letzte Chance nicht verstreichen lassen wollte.
Der Bus war wieder nicht pünktlich gewesen. Auch am fünften Tag dasselbe Gedränge an der Haltestelle, dieselbe Enge. Ein Arbeitsbeginn, der Kristina jegliche Motivation raubte, noch ehe sie hinter ihrem Schreibtisch saß. Der Autopsiebericht war noch nicht da, aber Sampo hatte ihr seine vorläufigen Untersuchungsergebnisse überlassen. Wie befürchtet war die Spurenauswertung niederschmetternd. Das Wetter hatte alles zunichtegemacht. Fremde DNA konnte nicht sichergestellt werden. Nur im Haus hatte eine weitere Person Fingerabdrücke und genetisches Material hinterlassen. Vermutlich die Putzfrau, wenn man die Stellen betrachtete, an denen die Spuren gesichert worden waren. Sobald die Person identifiziert war, bestand Klarheit. Kristina wusste nicht mehr, wen sie damit beauftragt hatte, die Reinigungsfirma zu kontaktieren. Sie würden die Reinigungskraft bitten, ihre Fingerabdrücke zur Verfügung zu stellen.
Werner hatte ihr die Liste der von Osswald in den letzten sechs Wochen geführten Telefonate hinterlassen. Die Telefongesellschaft war erstaunlich schnell gewesen. Klägliche zwölf Gespräche waren verzeichnet. Gut für denjenigen Kollegen, der die Nummern überprüfen durfte. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges darunter. Neben zwei Handynummern nur regionale Verbindungen, von denen sich drei wiederholten. Nummern in Stuttgart. Nur ein Gespräch dauerte länger als eine Minute. Vermutlich Essensbestellungen. Egon Osswald hatte nicht viel telefoniert in den Wochen vor seinem Tod.
Die nächste Notiz erregte Kristinas Aufmerksamkeit. Auf Osswald waren zwei kleinkalibrige Waffen registriert. Bei der Durchsuchung des Grundstücks hatten sie aber nur eine gefunden. Wo war die zweite Pistole? War der Täter doch im Haus gewesen und hatte sie an sich genommen? Es bereitete Kristina Magenschmerzen, dass der Täter nun womöglich eine Schusswaffe besaß.
Über den Laptop gab es hingegen noch nichts. Sampos Leute hatten das Passwort bislang nicht knacken können.
Kristina klappte die Mappe zu.
Lachenmeier und Winkler waren bereits beim Sichten der Nachrufe und versuchten, Verbindungen zu knüpfen. Auch bei ihr stapelten sich vier Ordner, die vom Dezernat für Wirtschaftsdelikte überstellt worden waren. Es war zeitintensive Recherche. Erschwerend kam hinzu, dass die Attpoes Corporation seit zehn Jahren nicht mehr existierte.
Finckh kam ins Büro und unterbrach ihre Gedanken. »Ich habe die Putzfrau«, verkündete er und wedelte mit einem Notizzettel in der Hand.
Mit dieser Nachricht konnte er Kristina keinen größeren Gefallen tun. Sie musste raus aus dem Büro, weg von den Aktenbergen und dem abstoßenden Muff, der ihnen entströmte.
Ilona Piecek wohnte in Fellbach, zwischen Waiblingen und Stuttgart. Nach dem Klingeln öffnete ihnen eine kleine, zierliche Frau, die laut ihrem deutschen Personalausweis – den sie griffbereit aus ihrer Handtasche zog und vorzeigte, als Finckh sie dazu aufforderte – achtundvierzig Jahre alt war. Ihr Haar war weißblond gefärbt und lieblos zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das eingefallene Gesicht war ungeschminkt, die grobporige Haut
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