Die Kälte in dir (German Edition)
Genau wie der Safe, den sie im Büro vorfanden, eingelassen in die Wand hinter einem Bücherregal. Kristina verlor sehr bald die Hoffnung, in der Aufgeräumtheit die Spuren eines Mörders zu finden.
Egon Osswald wurde nach der ersten oberflächlichen Betrachtung seines Reichs nicht greifbarer.
Lange Buchreihen füllten die Regale. Vieles befasste sich mit Wirtschaftsthemen, hinzu kamen Autobiografien, hauptsächlich von Politikern, Ökonomen und Staatsmännern. Kaum triviale Literatur. Eine große Auswahl an klassischer Musik, die akkurat um eine teure Stereoanlage arrangiert war.
Das Einzige, was Kristina aufmerken ließ, war das gerahmte Foto einer jungen Frau auf dem Schreibtisch, der genauso aufgeräumt war wie der Rest des Hauses. Sie setzte sich in den weichen Ledersessel hinter dem Schreibtisch und betrachtete das Bild, ohne es zu berühren. Auch wenn sie Latexhandschuhe trug und es unwahrscheinlich war, dass der polierte Silberrahmen andere Fingerabdrücke als die von Osswald und seiner mutmaßlichen Putzfrau aufwies, wollte sie der Spurensicherung keine unnötige Arbeit machen.
»Wer bist du?«, fragte sie die blonde Frau, die ihr zart entgegenlächelte.
Das Foto war nicht das aktuellste. Eine leicht ausgeblichene Aufnahme, die zehn, vielleicht zwanzig Jahre alt war, wenn man Frisur und Kleidung beurteilte. War sie die Ehefrau? Eine Geliebte? Oder gehörten diese blauen Augen der Tochter?
Wer bist du? Wo bist du?
Es gab immer noch keine Meldung der Dienststelle, was die Familienverhältnisse des Hausherrn anging. Gut möglich, dass die Spurensicherung irgendwo in diesem großzügigen Haus mit seinen vielen Zimmern Anhaltspunkte fand, wer die Unbekannte war und in welchem Verhältnis sie zu Egon Osswald stand.
Kristina zog die oberste Schublade des Schreibtischs auf. Darin lag ein Laptop. Sie stellte ihn vor sich auf den Schreibtisch und öffnete ihn. Der Rechner fuhr hoch und verlangte nach wenigen Sekunden ein Passwort. Frustriert klappte sie den Laptop zu und widmete sich wieder der Schublade. Unter einem Stapel Tankquittungen und Heizöllieferscheinen fand sie die Rechnung einer Gebäudereinigungsfirma aus Stuttgart.
Sampo betrat das Büro und verscheuchte ihre Überlegung.
»Habt ihr was gefunden?«, fragte sie ihn.
»Einen gut gefüllten Weinkeller«, antwortete der Finne trocken.
»Auch etwas, das uns augenblicklich weiterhilft?«
»Das Haus hat eine teure Alarmanlage, ein ausgeklügeltes Schließsystem für Türen und Fenster und eine Videoüberwachung, was natürlich alles nichts nutzt, wenn ein Mord hinten im Garten geschieht. Das System überschreibt sich zudem alle zwei Wochen, womit die Aufzeichnung des Mordes gelöscht sein dürfte. Außerdem liegt eine Pistole im Nachttisch, die zwar seit Längerem nicht benutzt wurde, aber nichtsdestotrotz vorhanden ist. Wenn man das interpretiert, könnte man sagen, dass Osswald Vorsicht walten ließ. Oder aber, ihm machte eine gewisse Angst zu schaffen.«
»Vielleicht brauchte er diese Schutzmechanismen, um die Einsamkeit zu kompensieren, die hier draußen sein Leben bestimmte?«, schlug Kristina vor.
Er zuckte mit den Schultern. »Kann auch sein, dass er seinen Feind erwartete«, murmelte Sampo, dann fiel sein Blick auf den Laptop. »Soll ich mich darum kümmern?«
»Pack ihn ein!«, antwortete Kristina mit einem Lächeln.
Der Kriminaltechniker steckte das Gerät in eine mitgebrachte Papiertüte und verließ das Büro. Kristina überdachte seine Worte. Die Tötung von Egon Osswald war kein Zufall gewesen. Genauso wenig, wie sie wiederum geplant zu sein schien, da die vermeintliche Tatwaffe aller Voraussicht zum Haus gehörte. Wird ein geplanter Anschlag auf ein Leben verübt, bringt der Täter für gewöhnlich sein Werkzeug mit.
Kristina stand auf, zog die Jalousie hoch und sah in den Garten hinaus, aber aus dem gleißenden Licht strahlte ihr keine Einsicht entgegen. Der Mörder hatte eine Menge Vorsprung. Zu viel, um ihn noch zu spüren.
»Kristina!«
Wieder tauchte Sampo im Türrahmen auf. Ein Blick genügte ihr, um zu wissen, dass die Kriminaltechniker etwas Bedeutendes entdeckt hatten. Wortlos folgte sie ihm durch die Räume und die Treppe hinab. Demnach gab es dort unten mehr als einen Weinkeller. Die Luft wurde mit jeder Stufe abwärts kühler. Es roch abgestanden. Der Gang war schmal und feucht, der Putz bröckelte. Die aufwendige Renovierung war unterhalb der Grasnarbe nicht fortgeführt worden. Das wahre Alter des Hauses war
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