Die Kälte in dir (German Edition)
Stuhl.
Der Polizeidirektor stellte den zahlreich erschienenen Journalisten und Fotografen in der Pressekonferenz Hauptkommissar Thorwald Decher vom Landeskriminalamt als Leiter der einberufenen Sonderkommission vor, ohne Kristina vorher über diesen Schritt informiert zu haben.
»Sie waren nicht greifbar«, murmelte Kurt Retter – die Hand auf dem Mikrofon –, nachdem sie ihn vorwurfsvoll angestarrt hatte, während der neue Mann im Blitzlichtgewitter über den Stand der Ermittlungen berichtete.
So gut wie der Hauptkommissar mit der Sachlage vertraut war, musste er schon eine Weile Akteneinsicht besitzen. Neben Retter und Decher saß noch Staatsanwalt Peter Pokorny auf dem Podium. Ebenso wie sie, Oberkommissarin Kristina Reitmeier,
die Gearschte
, an die es keine einzige Frage gab. Man wollte nicht einmal wissen, warum sie aufs Podium durfte. Als Quotenfrau vielleicht, oder weil sie am dekorativsten war.
Kristina war stinksauer über die Art, wie sie übergangen worden war.
Die Erwähnung von drei Toten rückte jedoch alles andere in den Hintergrund. Kaum war es ausgesprochen, brach im Konferenzraum des Präsidiums der zu erwartende, heftige Sturm los. Doch Retters neuer Kapitän, Thorwald Decher, behielt souverän das Steuer in der Hand. Er rief einen Reporter nach dem anderen auf, ohne den Überblick zu verlieren, und umschiffte gekonnt jede unangenehme Frage. Auf nüchterne, sachliche Weise legte er die Fakten dar, immun gegen jegliche Angriffe und Emotionen, die über den Konferenztisch brandeten. Ein abgebrühter Profi eben. Niemand, mit dem sich Kristina in solchen Dingen messen konnte.
Der Begriff
Serientäter
wurde bewusst vermieden, und wenn die Gegenseite damit anfing, wackelten alle synchron mit den Köpfen. Nur die Sache mit dem verschwundenen Fett behielt man für sich. Aus ermittlungsrelevanten Gründen.
Nach einer guten halben Stunde deutete sich das Ende der Pressekonferenz an, die Fragen der Journalisten flauten ab. Kristina rückte ihren Stuhl auf dem Podium bereits in eine Position, von der sie umgehend verschwinden konnte, sobald Retter die Medienvertreter entließ.
Da meldete sich ein Mann aus der zweiten Reihe, der sie schon eine Weile ungehalten angestarrt hatte.
»Günter Theiss, Bild Stuttgart. Frau Oberkommissarin, warum wurde die Sonderkommission erst nach dem dritten Mord gegründet? Reichlich spät, meiner Einschätzung nach.«
Kristina wechselte einen Blick mit Retter, ehe sie antwortete. »Die Frage wurde von Hauptkommissar Decher bereits beantwortet. Es konnte bis zum heutigen Mordfall nicht mit Gewissheit davon ausgegangen werden, dass zwischen den Tötungen ein Zusammenhang bestand.«
»Ist es nicht vielmehr so, dass Ihre Abteilung unterbesetzt und mit den Ermittlungen überfordert war?«
»Davon ist keinesfalls auszugehen«, ging Thorwald Decher dazwischen. »Falls Sie keine weiteren Fragen mehr haben, danke ich für Ihr Erscheinen.«
»Warum lassen Sie Frau Reitmeier nicht antworten?«, zischte Theiss.
Die zahlreichen Objektive waren nun ausschließlich auf Kristina gerichtet.
»Ich habe mich über Sie und die Umstände, wie Sie zur Leitung des Dezernats für Gewaltverbrechen gekommen sind, erkundigt. Man hat Sie doch nach dem Ausfall Ihres Vorgesetzten, Hauptkommissar Holle, ins kalte Wasser geworfen. Ich habe durchaus Verständnis, wenn Sie Probleme beim Bewältigen dieser Aufgabe haben.«
Kristina sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl nach hinten kippte und mit einem lauten Krachen auf den Holzbohlen des Podiums aufschlug. Im Blitzlichtgewitter drängte sie aus dem Konferenzraum.
»Haben Sie Feuer?«
Daniel drehte sich um. Der Kerl vor ihm musste einer der Journalisten sein, die seit ein paar Minuten nach und nach aus dem Präsidium geströmt kamen.
Jeder für sich, mit leuchtenden Augen und vollem Speicherchip in der Digitalkamera. Die Meute hatte reichlich zu fressen bekommen und würde sich nun ans Verdauen machen, um mit dem daraus resultierenden Auswurf endlich das leidige Sommerloch zu füllen. Die besonders aggressive Vorgehensweise bei den Morden reichte aus, um deutschlandweit zu berichten.
Daniel streckte dem Reporter sein Feuerzeug hin, womit dieser sich eine Zigarette anzündete und dabei unentwegt das dicke Pflaster auf Daniels Stirn musterte.
»Vom Einsatz?«, fragte er.
»Sprungturm«, log Daniel, der keine Lust verspürte, etwas zu erklären.
»Unglaublich, was da wieder ablief«, begann der Mann nach einem weiteren tiefen Zug. »Da müssen
Weitere Kostenlose Bücher