Die Kälte in dir (German Edition)
war ein Gefühl, welches sie auf keinen Fall mehr für ihn empfinden wollte. Deswegen war sie schon einmal zur Mutter Teresa mutiert und hatte neben ihrem Mitgefühl auch gleich noch ihren Leib hingegeben.
Sie sagte ihm, wohin er fahren sollte. Offenbar hatte er auch Schmerzen im Nacken, denn er war darum bemüht, seinen Kopf möglichst nicht zu drehen.
Auf der Fahrt blätterte sie die Unterlagen durch, die sie mitgenommen hatte.
Erst nach dem Kappelbergtunnel wagte Daniel sie anzusprechen. »Im Radio hieß es, es gab eine Leiche in der Rems.«
Sie sah ihn von der Seite her an. »Er hat wieder zugeschlagen. Wir haben wahrscheinlich eine Serie.«
Sein Adamsapfel hüpfte.
Und das Präsidium ist dabei, mich abzuschießen. Darum brauche ich Leute, die zu hundert Prozent zuverlässig sind. Ich wünschte, du würdest dazugehören.
Kristina war die Schönheitsklinik mitten in der City noch nie aufgefallen. Wie es aussah, war das Gebäude in der Sophienstraße erst vor Kurzem modernisiert worden. Glas und mattiertes Aluminium dominierten den Eingangsbereich, ohne dass es kühl wirkte.
Daniel protestierte nicht, als sie ihm auftrug, im Wagen zu bleiben. Vermutlich war ihm nach wie vor daran gelegen, ihr aus dem Weg zu gehen, sofern es sich bewerkstelligen ließ. Oder ihm brummte schlichtweg der Schädel von seiner Kopfwunde. Der Verband sah nicht aus, als sei die Verletzung professionell versorgt worden.
Für einen kurzen Moment fühlte sie sich in der Verantwortung, ihn zum Arzt zu schicken. Aber er war ein großer Junge, und im Moment gab es Dringlicheres zu tun.
Mit gespannter Erwartung betrat sie das Foyer der Klinik. Die Kälte aus der Klimaanlage, die ihr unverhofft entgegenschlug, ließ sie zögern. Gänsehaut überzog ihre Unterarme, und sie rang hektisch nach Luft.
Du musst das behandeln lassen, flüsterte eine tadelnde Stimme in ihrem Kopf. Mit geschlossenen Augen verharrte sie drei Herzschläge lang. Die Stimme beließ es bei diesem einen Satz, der allerdings ausreichte, um ihr bewusst zu machen, dass sie nicht alles allein bewältigen konnte.
Nach ein paar tiefen Atemzügen sah sie sich um. Die Einrichtung offenbarte eine andere Welt. Hier war viel Geld investiert worden, um zu suggerieren, dass man willkommen war und mit seinem Schritt durch das Eingangsportal die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die bildhübsche Dame am Empfang strahlte ihr gewinnend entgegen, bis Kristina den Dienstausweis zückte.
Dr. Farnoosh Bennour konnte seine persischen Wurzeln nicht verbergen. Er lächelte charismatisch, mit strahlend weißen Zähnen, und sah auch sonst blendend aus. Sein dichtes schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Ein Farbenspiel, das sich in seinem exakt gestutzten Kinnbart fortsetzte. Der Chefarzt diente als Aushängeschild für sein Unternehmen.
Die Büroeinrichtung führte das fort, was bereits die Eingangshalle vermittelt hatte:
Fühlen Sie sich wohl, hier sind Sie in den richtigen Händen
. Es mochte am Licht liegen, am eigenwilligen, exotischen Duft, an der Wandfarbe, an den asiatischen Accessoires oder an allem zusammen.
Der Chirurg saß nicht hinter einem Schreibtisch, sondern lässig in einem Lounge-Sessel. Der Blick durch die Glasscheibe dahinter fiel auf einen Bambushain, von dem Kristina nicht sagen konnte, ob er echt oder eine perfekte digitale Illusion war. Ein unaufdringlicher Geruch nach Räucherstäbchen lag in der Luft.
Der Arzt erhob sich und reichte ihr die Hand. Statt eines weißen Kittels trug er Hemd und Hose in denselben lindgrünen Farbtönen, die sich auch im Mobiliar wiederfanden. Kristina hatte keine Ahnung davon, aber alles hier sah nach Feng-Shui aus.
Dr. Bennour bot ihr den freien Stuhl in der Sitzecke an und nahm ihr gegenüber Platz. »Was kann ich für Sie tun, Frau Kommissarin?«, fragte er in akzentfreiem Deutsch und musterte sie dabei eindringlich.
Ohne zu fragen, schenkte er ihr Wasser aus einer Karaffe ein, in der Limettenscheiben und Eiswürfel trieben.
Sicher aus tibetanischen Gletschern geschmolzen
, dachte sie amüsiert und trank einen Schluck.
»Es geht um eine Patientin von Ihnen, Carola Walz«, kam sie unverzüglich zur Sache.
Er zog die Brauen zusammen. »Ich erinnere mich an die Dame. Der Termin liegt noch nicht lange zurück. Bevor Sie weiterfragen, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass auch ich der ärztlichen Schweigepflicht unterliege.«
Diesen Satz hatte sie erwartet. »Frau Walz wurde ermordet«, gab sie ihm zu
Weitere Kostenlose Bücher