Die Kälte in dir (German Edition)
Osswald in Kanada zu erreichen, doch das war ohne Erfolg geblieben. Niemand hatte jenseits des Atlantiks auf ihren Anruf reagiert. Jetzt musste sie wieder mindestens bis zum Mittag warten, um die Dame nicht aus dem Schlaf zu läuten. Andererseits ließe sich mit einem nächtlichen Anruf die Chance erhöhen, Louise zu erwischen. Ob das jedoch Kristinas Anliegen förderlich war, bezweifelte sie. Sie malte sich aus, wie Decher darauf reagierte, wenn sie ohne feste Zusage seitens Louise in die vormittags angesetzte Besprechung ging, womit es ihr noch schwerer fiel, aus den Federn zu kommen.
Gerädert stand sie auf und schlurfte ins Bad. Der Blick in den Spiegel besserte ihre Laune nicht. Auf der Nase und den Wangen war die Haut gerötet. Woher kam dieser Sonnenbrand? Für gewöhnlich war sie nicht empfindlich. Außerdem hatte sie sich gestern kaum im Freien aufgehalten. Oder doch? Vielleicht war es eine allergische Reaktion auf ihren neuen Chef?
Während sie die Brause anstellte, fiel ihr Daniel ein. Sie eilte zurück ins Schlafzimmer und prüfte ihr Handy, nur um festzustellen, dass sie keinen Anruf verpasst und auch keine SMS erhalten hatte. Kurz war sie versucht, Daniel eine Nachricht zu senden, doch dann erinnerte sie das Rauschen im Bad daran, dass die Dusche lief.
Besser erst abkühlen!
Angewidert strampelte Daniel die schweißnasse Zudecke von sich und schnappte nach Luft. Er brauchte eine Weile, bis er sich zurechtfand. Der Albtraum, der ihn aufgeschreckt hatte, hallte weiterhin in seinem Kopf, ohne dass Daniel wirklich sagen konnte, worum es darin gegangen war. Sein Herz pochte laut und schnell. Er war weggerannt, wie immer ohne vom Fleck zukommen. Glaubte man Freud, war ein Albtraum die Erfüllung eines verdrängten Wunsches.
Als das Mobiltelefon klingelte, griff er mechanisch danach. Er warf einen benommenen Blick aufs Display, überrascht darüber, wie spät es bereits war. Noch nicht ganz bei sich, nahm er das Gespräch entgegen.
»Pennst du noch?«
Kristina!
Es hatte keinen Sinn zu lügen, so schlaftrunken, wie er sich anhörte. »Der Doc hat mich noch eine Weile wachgehalten«, nuschelte er, den halben Mund im feuchten Kopfkissen vergraben.
»Du hast also doch …«, entfuhr es ihr, aber sie schluckte den Rest des Satzes herunter.
Er konnte nicht sagen, ob Ärger oder Ungeduld in ihrer Stimme mitschwang.
»Du hattest recht« erwiderte er, bevor sie weiterreden konnte. »Wir haben ihn aufgeschreckt.«
Ein Wunder, dass er überhaupt hatte einschlafen können, nach dem, was er herausgefunden hatte. Letztlich war die Müdigkeit wohl stärker gewesen als die Fragen, die ihn hätten wach halten sollen.
Er hörte sie fluchen: »Du bringst mich in Teufels Küche. Und dich auch!«
Dort bin ich ohnehin schon
, lag ihm auf der Zunge.
Doch es schien ihm die bessere Option, zu berichten, was er gestern noch erlebt hatte, um die Kommissarin zu besänftigen. »Lorenz hat sich mit jemandem in einer Bar getroffen.«
»Klingt aufregend. Haben sie dir einen ausgegeben?«
Sein Nacken fühlte sich immer noch steif an, aber der Schmerz war verschwunden, solange er sich nicht bewegte. Das Laken war nass. Die Schwitzerei ging ihm auf den Senkel. Körper und Geist fanden nachts keine Ruhe, wenn sie sich unentwegt gegen die Hitze wehren mussten. Die Erinnerung kam schleppend.
Daniel hatte sich nicht getraut, dem Arzt in die Bar zu folgen. Lorenz hätte ihn wiedererkannt, selbst mit der Sonnenbrille, die zu dieser späten Stunde schon für sich zu auffällig gewesen wäre. Hinzu kam sein Pflaster auf der Stirn, das wie eine Warnlampe wirken musste. Da hätte er sich gleich daneben setzen können. Unbebrillt hatte er einen Platz in einem Straßencafé gegenüber der Bar gefunden und das Erstbeste bestellt, was ihm einfiel. Gin Tonic. Rückblickend waren der Alkohol und die vielen Tabletten, die er tagsüber geschluckt hatte, in seinem Magen keine Freunde geworden. Schon nach wenigen Schlucken hatte er sich ziemlich betrunken gefühlt.
Von seinem Platz aus hatte er beobachten können, wie der Doktor sich zu einem anderen Mann an den Tresen gesetzt hatte.
»Sie sahen nicht danach aus, als zischten sie einmal die Woche ein Feierabendbier. Lorenz hatte schon nach kurzer Zeit einen hochroten Kopf, den selbst die gedämpfte Thekenbeleuchtung nicht kaschieren konnte.«
»Diese Zusammenkunft könnte alles bedeuten und muss rein gar nichts mit dem Fall zu tun haben«, erwiderte Kristina. »Deine ganze Aktion war
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