Die Kälte in dir (German Edition)
Brenner war alt und lief Gefahr zu qualmen. Niemand heizte um diese Jahreszeit. Die Stille war unheimlich, doch er durfte sie nicht vertreiben. Die Züge fuhren um diese Zeit nur selten. Man hörte sie, je nachdem, wie der Wind stand, mal lauter, mal leiser. Ein Flüstern, das über die Schienen glitt. Mehr Geräusche hatte dieser Ort nicht für ihn übrig.
Noch ließ das Zittern sich unterdrücken. Er könnte mit dem Auto rumfahren, die Heizung aufdrehen. Aber er wollte den Alten nicht unbeaufsichtigt lassen. Dem windigen Schloss in der Kellertür war nicht zu trauen. Genau wie dem Mann, der ihm so unbedarft die Tür geöffnet hatte.
Nun, er hatte ihn eingeladen, ihn über seine Schwelle gebeten, als flehe er geradewegs um Erlösung. Vom Schicksal gelenkt. Eine einfachere Erklärung gab es nicht.
Er hatte die Zeitung aufgeschlagen, durch die Seiten geblättert und diesen Hinweis gefunden, der allein für ihn bestimmt gewesen war. Mehr Vorhersehung brauchte es nicht. Der Rest war einfach gewesen. Die Menschen sahen, was sie sehen wollten. Und selbst der Tod vermochte zu lächeln, wenn es vonnöten war.
Er fragte sich, wieso er nicht sofort zugeschlagen hatte? Oder geschossen. Auch dazu wäre er mittlerweile in der Lage gewesen. Der Knall hätte ihn selbstverständlich verraten. Die Spritze war die bessere Wahl gewesen. Lautlos, nahezu elegant, als führe er ein Florett. Das Zeug wirkte schnell. Für einen Moment war er erschrocken gewesen, wie unerwartet rasant der Alte umgekippt war, nachdem er ihm die Injektion in den Oberarm gerammt hatte. Nur wusste er nicht, wie lange das Sedativum vorhielt. Er hatte dafür keine Anleitung erhalten. Warum auch? Es war nie geplant gewesen, noch einmal zu erwachen.
Er konnte den
Spieler
stöhnen hören.
Nicht schon wieder
, würde dieser winseln.
Hör auf damit, was habe ich dir angetan, dass du mich so quälst
.
Immer dieselbe weinerliche Leier. Und doch würde der Spieler weitermachen, denn er gehörte ebenfalls zu jenen, die keine Wahl hatten.
Genau wie ich
, dachte er.
Aber diesmal war die Situation eine andere.
Zwei an einem Tag empfand er als verwerflich. Nicht, weil er noch ein Gewissen hatte. Diese Instanz war längst erfroren. Zu Eis erstarrt und in Milliarden Splitter zersprungen. Der Tod läutete den Verfall ein, und das bedeutete eine Verschwendung der Ressourcen. Darum lebte der Alte noch.
Doch es war bald an der Zeit aufzubrechen. Das Telefon hatte bis tief in den Abend hinein unermüdlich geklingelt. Er hätte das Kabel herausreißen können. Ein fortwährendes Besetztzeichen war jedoch weitaus verdächtiger, als wenn niemand im Haus das Gespräch entgegennehmen konnte.
Er musste diesen Ort verlassen. Nicht nur der Kälte wegen, vor der er niemals flüchten konnte. Sie begleitete ihn. Immerzu. Doch es würde den Leuten vor der Tür irgendwann nicht mehr genügen, nur zu klopfen und zu rufen. Irgendwann kam jemand mit einem Schlüssel. Ohnehin war er schon viel zu lange hier. Es war Zeit. Sobald die Sonne kam.
Dann blieb auch keine Wahl mehr, was den Mann im Keller betraf. Er konnte ihn nicht mitnehmen. Dafür war er zu schwach. Nur das, was er brauchte, das Notwendigste, das würde er sich nehmen, so wie er es bei den anderen getan hatte.
Kristina erwachte vor dem Wecker. Vom Vogelgezwitscher vor ihrem Fenster, das sie offen gelassen hatte, in dem Wunsch nach kalter Nachtluft. Sie schüttelte die Beklemmung ab, die sie aus dem Schlaf herübergebracht hatte. Sie wischte sich übers Gesicht, um diese Empfindung zu verscheuchen. Hatte irgendein Traum sie gequält, an den sie keine Erinnerung mehr fand?
Sie dachte an ihr Auto, das jetzt bald eineinhalb Wochen auf dem Rastplatz in der prallen Sonne stand. War noch irgendetwas darin, was die Hitze nicht längst zu einem Klumpen geschmolzen hatte?
Wieder hatte sie es nicht geschafft, ihre Mutter anzurufen. Üblicherweise tat sie das sonntagabends, wenn nicht gerade Ausnahmezustand herrschte. Ihre Eltern hatten bestimmt aus den Nachrichten von den Morden gehört. Verwunderlich, dass sie von sich aus noch nicht zum Telefon gegriffen hatten. Aber das fiel sowohl ihrer Mutter als auch ihrem Vater schwer. Da musste schon die Welt untergehen, bevor Kristina einen Anruf erhielt.
Heute melde ich mich bei ihnen
, nahm sie sich vor, und dann war sie mit ihren Gedanken auch schon unaufhaltsam mitten im Fall. Es gab da ein weiteres ausstehendes Telefonat, das längst überfällig war. Sie hatte versucht, Louise
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