Die Kälte in dir (German Edition)
eindrucksvoll sich ein Mensch verformte, wenn man eine Pistole auf ihn richtete. Und wie überlegen man sich vorkam, wenn man derjenige war, der den Druck des Abzugs spürte.
Während er mit unerbittlichem Schweigen auf den Spieler hinabblickte, wünschte er sich, er hätte diese Kontrolle schon damals besessen. Wie wäre sein Leben wohl verlaufen, wenn nicht die einzige Wärme, die ihm jemals vergönnt gewesen war, das Weite gesucht hätte?
Ironie des Schicksals!
Das Monster, dem er die Kälte verdankte, hatte ihn letztlich nicht nur mit neuer Energie belebt, sondern auch mit dem Instrument der Macht.
Er wies mit einer knappen Bewegung seines Kinns auf das frische Material, das er mitgebracht hatte. Das nun auf der Anrichte lag, auf der die Gerätschaften deponiert waren, die er aus dem Labor mitgenommen hatte.
»Ich kann das nicht mehr«, wimmerte der Spieler.
Er konnte den Schnaps in seinem Atem riechen. Die Verzweiflung in seiner Stimme hören. Es war gut, dass er ihn hierher gebracht hatte, um ihn unter Aufsicht zu haben. Der Spieler hatte seinen Willen schon vor geraumer Zeit verloren. Er brauchte eine starke Hand, die ihn leitete. Hier konnte er ohne Ablenkung seine Arbeit tun. Seiner einzig wirklichen Bestimmung nachgehen.
»Finckh wollte das Haus verkaufen«, erklärte Ralf und legte Kristina die Samstagsausgabe der Waiblinger Zeitung auf den Schreibtisch. Er hatte die Anzeige gelb angestrichen. »Ich bin eben durch Zufall draufgestoßen. Das wäre die plausibelste Erklärung, warum er unvoreingenommen einen Fremden in die Wohnung gelassen hat.«
Winklers Theorie leuchtete ihr ein. Sie schenkte ihm ein anerkennendes Nicken, denn so, wie er da vor ihr stand, hatte er etwas Aufmunterung nötig. Trotz der Tragödie machten sie weiter. Gerade deswegen. Diese Ermittlung war zu etwas Persönlichem geworden.
»Wenn dem so war, muss der Täter die Anzeige gelesen und diese Situation ausgenutzt haben. Das heißt, er wusste, wer Werner war und dass er an dem Fall arbeitete.«
Ralf nickte und wurde blass um die Nase. »Woher zur Hölle konnte er davon wissen?«
»Ich fürchte, er beobachtet uns«, flüsterte Kristina, als stünde der Schlächter direkt hinter ihr.
Sie erhob sich von ihrem Bürostuhl und ging zum Fenster. Über die Kreuzung und den Fluss hinweg konnte sie auf dem Parkplatz am Hallenbad die Parabolantennen der Übertragungswagen mehrerer Fernsehanstalten in der Sonne glänzen sehen. Sie waren gekommen, hatten sich in Position gebracht und lauerten. Die Kunde vom neuesten Mordfall im Zusammenhang mit dem Remstalschlächter war bereits auf dem Weg um den Globus. Bald würde es unmöglich sein, das Polizeigebäude zu verlassen, ohne ein Mikrofon vor die Nase gehalten zu bekommen.
»Warst du damit schon bei Decher?«, fragte sie gegen die Fensterscheibe, in der sich ihr rotes Haar spiegelte.
»Ich wollte, dass du es zuerst weißt«, gestand Ralf.
Dafür hätte sie ihn drücken können. Sie hatte ihre Leute in die Bredouille gebracht, und doch stärkten sie ihr weiterhin den Rücken.
Sie sah ihm nach, bis er in seinem Büro verschwunden war, und wandte sich dann wieder ihrem Rechner zu. Kristina war bei dem Bericht über Osswalds Bargeldvorrat in dessen Safe hängen geblieben, bevor Ralf mit der neuen Erkenntnis zu ihr kam. Das Geld war in einem ähnlichen Umschlag verstaut gewesen wie jenem, der nun vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
Hatte die späte Reue den Manager dazu veranlasst, Carola Walz 3 0 000 Euro auszuhändigen? Geld zur Wiedergutmachung oder für ihr Schweigen? Aber worüber sollte sie Stille bewahren? Hatte ein Vorfall in jüngster Vergangenheit eine Lawine ausgelöst, die sich auch nicht mit Tausenden Euros aus Osswalds Vermögen stoppen ließ? Sollten auch die anderen Opfer Geld erhalten? Der Architekt Bruno Schwarz, der Polizist Werner Finckh? Doch der Mörder war in allen Fällen schneller gewesen.
Das ist Unsinn.
Auf jeden Fall, was Werner betraf. Als sie letzten Donnerstag zum ersten Tatort gerufen worden waren, hatte er keine Ahnung gehabt, wer Egon Osswald war. Oder hatte Finckh doch mehr gewusst und deshalb sterben müssen?
Kristina spürte den Anflug einer Migräne. Es gefiel ihr nicht, einen Menschen zu verdächtigen, der mit ihr lange Zeit das Büro geteilt hatte. Doch je öfter sie die Fakten betrachtete, desto mehr fragte sie sich, ob sich Werner mit dem, was er für die Immobilie bekommen hätte, hatte absetzen wollen. Zusammen mit dem Geld, das Osswald für
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