Die Kälte in dir (German Edition)
ausgesprochen, musste sie an Werner denken, der sich oft in dieser kleinen Büroküche rumgedrückt hatte. Sie vermutete, dass der halbe Kühlschrank noch mit seinen Lebensmitteln belegt war. Wer würde die Kraft dazu finden, das Zeug irgendwann zu entsorgen? Gleiches galt für den Inhalt seines Schreibtischs.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe vorhin die neuesten Berichte durchgesehen. Decher hat mit der Detektei gesprochen. Osswald hat den Privatermittlern in regelmäßigen Abständen Namen zukommen lassen, die sie überprüfen sollten. Zudem war eine Agentur damit beauftragt, deutschlandweit Tageszeitungen nach Todesanzeigen zu durchforsten und mit der von ihm geführten Liste zu vergleichen. Er hat für diese Dienste gut bezahlt, genug, dass niemand diese Passion hinterfragte. So hat er seine Sammlung aufgebaut. Ich kann mir nur nicht zusammenreimen, wozu er diesen Aufwand betrieben hat. Aus Reue? Um späte Vergebung zu erlangen? Aber von wem?«
»Vielleicht findest du die Antwort hier«, sagte Sampo und hielt ihr den Schlüssel vor die Nase, den Carola Walz an ihrem Todestag bei sich getragen hatte. »Wir haben das Schließfach gefunden«, erklärte er und schlürfte von dem eingebrannten Kaffee. »Aber noch keine Zeit gefunden, es zu öffnen«, dämpfte der Forensiker ihre Erwartung. »Ich dachte mir, womöglich willst du das persönlich übernehmen.«
»Wo?«
»Stuttgart, Kunstmuseum. Ungewöhnlicher Ort, aber die Schließfächer dort sind öffentlich zugänglich und brauchen damit nicht zwingend von Museumsbesuchern belegt werden. Wobei sie dazu natürlich in erster Linie installiert worden sind.« Er legte ihr den Schlüssel neben die Kaffeemaschine. »Viel Glück!«
Sampo ließ sie allein in der Küche zurück. Sie nahm den Schließfachschlüssel zwischen Daumen und Zeigfinger und betrachtete ihn. Was hatte die beleibte Frau darin vor der Welt versteckt?
Doch das Museum musste warten. Decher wollte Kristina in einer Viertelstunde sprechen. Wenigstens hatte sie etwas, womit sie den Hauptkommissar besänftigen konnte.
Die Sache mit dem Schließfach behielt sie vorerst für sich. Aber Louise Osswald hatte sich auf den Weg gemacht, ihrem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Und wohl auch ihrem ehemaligen Verlobten Bruno Schwarz, dessen verkohlte Leiche immer noch ein Kühlfach der Pathologie belegte, weil keine Angehörigen auszumachen waren.
Diesmal war Thorwald Decher allein. Offenbar waren alle unterwegs, mit wichtiger Ermittlungsarbeit betraut oder in der Kantine. Gut möglich, dass der Hauptkommissar dafür gesorgt hatte, um mit Kristina ein Vieraugengespräch zu führen.
Er saß an dem Tisch an der Stirnseite des Raums wie der Lehrer, der auf die Schülerin wartete, die bei ihm zum Nachsitzen verdonnert war. Doch statt sich zu setzen, blieb Kristina einfach auf halbem Weg stehen. Sie hatte nicht vor, lange zu bleiben.
»Wir machen weiter Schlagzeilen«, verkündete er und hielt ihr das aktuelle Boulevardblatt vor die Nase. »Ihr Freund Theiss war wieder fleißig.«
Übergewichtige stürmen Fitness-Studios
, lautete die Überschrift und nicht unwesentlich kleiner darunter:
Die Angst vor dem Dickenmörder geht um.
Sie werden auch Dr. Bennour die Bude einrennen
, überlegte sie. All jene, die es sich leisten können. So wie Carola Walz?
Weil sie nicht auf seine Anspielung mit dem Journalisten einging, legte Decher das Blatt beiseite und wandte sich der Tafel mit den Fotos der Opfer zu, an der nun ein viertes Bild hing: Werner, wie er zusammengekauert an der Waschmaschine lehnte.
»Ich bete zu Gott, dass er nicht in diesem Tempo weitermacht«, raunte Decher.
Kein Wort darüber, dass Retter ihn zur weiteren Zusammenarbeit mit ihr nötigte.
»Er gerät unter Druck«, mutmaßte Kristina.
»Was meinen Sie damit?«
Hatte er vor, eine sachliche Diskussion des Falls mit ihr zu beginnen? Kristina stand weiterhin da, als müsse sie jede Sekunde einen Angriff abwehren. Dechers Blick hingegen blieb auf die Notizen am Whiteboard gerichtet.
»Solange Osswald hinter seiner Villa lag und ihn niemand vermisste, hatte der Täter keinen Grund für überstürztes Handeln. Mit dem Leichenfund im Welzheimer Wald wurde ihm bewusst, dass die Jagd auf ihn eröffnet war. Also begann er damit, Spuren auszulöschen, die uns sonst den Weg weisen würden. Spuren in Form von Menschenleben. Ich glaube, all jene, die nach Egon Osswald sterben mussten, hätten uns zu ihm führen können.«
»Das sind ja ganz neue Töne.
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