Die Kälte in dir (German Edition)
vorsichtig heraus. Mit der Tasche begab sie sich zu der Bank, die an der gegenüberliegenden Gangseite an der kahlen Betonwand stand. Sie nahm Platz und stellte die Handtasche auf ihren Oberschenkeln ab. Erwartungsvoll setzte er sich neben sie. Kristina warf ihm einen konspirativen Blick zu, und er nickte.
Die billige Kunstlederhandtasche enthielt nichts außer einem braunen Umschlag. Die Beschaffenheit und Dicke des Kuverts verriet den Inhalt schon, ohne dass sie es öffnen mussten. Nur die exakte Bestimmung des Werts verlangte, dass Kristina die Lasche aufzog.
12
Draußen war es ruhig. Trügerisch. Er durfte sich nicht einreden, dass es so bliebe. Der Vormittag hatte ihn eines Besseren belehrt. Sie waren ihm sehr nahe gekommen.
Er trat vom Fenster zurück, auch wenn die hereinfallende Sonne wie eine wohlige Dusche wirkte. Doch im Keller warteten seine Gäste.
Die Lieferanten
.
Es war besser, den Menschen ihre Persönlichkeit zu nehmen und sie auf eine Bezeichnung zu reduzieren. Selbst wenn keine engere Beziehung bestand. Es wurde leichter für den Verstand. Und für die Seele. Dabei existierte seine nicht mehr. Sie war in irgendeiner kalten, schlaflosen Nacht erfroren, zusammen mit dem Gewissen. Zwei Geschwister bibbernd aneinandergekauert, in der Hoffnung auf gegenseitige Wärme. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.
Das lag lange zurück, er konnte sich nicht mehr an den Tag erinnern. Das mochte daran liegen, dass man nicht sofort merkte, wenn einem Seele und Gewissen abhandenkamen. Es war ein schleichender Prozess, der den Geist zu einer ungeahnten Klarheit führte. Verlor man das, was die Welt da draußen als Menschlichkeit bezeichnete, blieb ein konzentriertes Filtrat übrig, das zu Höherem befähigte. Die Unsterblichkeit lag nicht in der Seele, sondern in dem, was danach noch vorhanden war. Eine gottgleiche Essenz, die ein Universum jenseits des Hasses öffnete. Danach erfolgte das Töten ohne Groll, allein um der Notwendigkeit willen. Wie bei einem Raubtier, das seiner Beute das Leben nimmt, um das seine weiterführen zu können.
Er hatte keine Vorstellung davon, wie lange sich dieses Stadium der Göttlichkeit bewahren ließ. Dieses schwarze Loch in seinem Inneren, dessen immense Gravitation sämtliche Gefühlsregungen absorbierte und unwiederbringlich zermalmte. Damit gelang es ihm, auch jene zu entmenschlichen, zu denen er einst eine emotionale Bindung verspürt hatte.
Widerwillig verließ er den sonnendurchfluteten Gang und stieg die Treppe hinab. Sein Körper reagierte augenblicklich auf den Temperaturunterschied. Der Instinkt des Tiers vermischte sich mit der Selbstbeherrschung des Menschen. Die Kälte kroch in seine Muskulatur. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, zitterte er bereits.
Der Spieler blinzelte ihm entgegen. Unverständnis und Entsetzen formten seine Züge.
Er verachtete diesen Anblick.
Der Spieler tat gut daran, das Maul zu halten, hatte anscheinend endlich eingesehen, dass sein Gewinsel auf taube Ohren stieß. Er sah ihm an, was er wissen wollte, welche Fragen in seinem alkoholgetränkten Hirn trieben.
Woher kommen die Kälte und die Macht, die dich befähigen, den Weg unbeirrt weiterzugehen?
Wieso legst du dich nicht zum Sterben hin, wie ein waidwundes Tier es an deiner Stelle tun würde?
Er setzte sich auf den Stuhl, den er gegen die nackte Wand gestellt hatte. Der Spieler kauerte auf der verschimmelten Matratze, die er in einem anderen Kellerraum gefunden hatte. Ängstlich glotzte er ihm entgegen, als warte er auf einen Richtspruch. Es stank nach Urin.
Er sollte den Eimer entleeren, in den der Spieler seine Notdurft verrichtete. Vielleicht konnte er sich später dazu überwinden. Die leere Schnapsflasche lag neben der Matratze auf dem kalten Steinboden. Oben in der Bar standen noch jede Menge Spirituosen, mit denen er ihn ruhigstellen konnte. Verabscheuungswürdig, aber effektiv.
Alkohol allein hatte nicht ausgereicht, um seine Forderungen durchzusetzen. Aber er war im Besitz dieser neuen, ungeahnten Macht, die jeglichen Widerstand zermalmte. Dieses kühle Metall in seiner Hand, das sich mittlerweile vertraut an seine Finger schmiegte und mit dem die Ernsthaftigkeit seiner Worte deutlich wurde. Es war ein Genuss, die Furcht in den Augen jener wachsen zu sehen, die er damit konfrontierte.
Er hatte nie eine Waffe besessen. Auch nicht, als er an Orten gelebt hatte, die einem kein Gefühl der Sicherheit gaben. Deshalb hatte er nicht nachvollziehen können, wie
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