Die Kaempferin
Seine stechenden braunen Augen hefteten sich auf mich, hielten mich gefangen. Sein braunes Haar war grau meliert und hing ihm bis auf die Schultern, während sein ordentlich gestutzter Bart – der einer in Venitte verbreiteten Mode zu entsprechen schien – fast völlig grau war, wodurch seine Augen dunkler wirkten, als sie waren. Alter furchte sein Gesicht, doch wie bei Eryn ließ ihn dies eher mächtig statt schwach erscheinen. Und er strahlte tatsächlich Macht aus. Sie lag so schwer in der Luft wie damals die Macht des Thrones, als ich zum ersten Mal den Thronsaal betreten hatte.
Ich verlagerte unter seinem Blick das Gewicht von einem Bein aufs andere. Es war ein Blick, den ich als gleichermaßen klug wie gefährlich empfand, fast wie der Blick eines Suchers, nur ohne dessen feine Schärfe. Mir war bewusst, dass ich beurteilt wurde, dass eine Meinung gebildet wurde … und dass diese Meinung über alles Weitere entscheiden würde.
Das Gossenkind in mir drängte sich nach vorn, bewog mich dazu, die Schultern anzuspannen und die Zähne zusammenzubeißen. Es war derselbe Trotz, den ich am Siel verspürt hatte, wenn ein Fuhrmann mich angespuckt oder versucht hatte, mich zu treten; derselbe Trotz, den ich empfunden hatte, als ich denHändlern Amenkors zum ersten Mal als Regentin begegnet war.
Und genau wie die Fuhrmänner und Händler hatte Fürst March kein Recht, über mich zu urteilen.
Er senkte ob der kaum wahrnehmbaren Veränderung den Kopf. Seine Augen funkelten.
Doch im Fluss sah ich ihn – im Gegensatz zu den meisten anderen Fürsten und Fürstinnen – als eine Mischung aus Rot und Grau.
Er konnte eine Gefahr für mich sein oder auch nicht. Er hatte sich nur noch nicht entschieden.
»Willkommen in Venitte, Regentin.« Seine Stimme erfüllte die Halle, obwohl er nicht laut sprach und ich keine Verwendung des Flusses spürte, um sie zu verstärken. »Darf ich Euch den Rat der Acht vorstellen?« Er deutete nach rechts. Fürst Sorrenti neigte das Haupt tiefer als die anderen, wenngleich nur eine Winzigkeit. Seine Augen verrieten nichts, und er ließ mit keiner Geste erkennen, dass wir uns bereits begegnet waren. Fürstin Casari lächelte. Ihre Miene wirkte dabei verkniffen, beinahe verbittert. Sie alle erhoben sich, als sie vorgestellt wurden. »Und zu meiner Linken: die Fürsten Demasque und Dussain sowie die Fürstinnen Tormaul und Parmati.« Demasque runzelte die Stirn, als er nickte; seine Blicke lösten sich nicht von meinem Gesicht. Dussain war mindestens zehn Jahre jünger als alle anderen und lächelte, als er aufstand und den Kopf senkte. Die Mienen der beiden Fürstinnen wirkten ausdruckslos, wenngleich Fürstin Tormaul mich anschaute, als sie nickte, bevor sie den Blick auf den Tisch vor sich richtete.
Als alle vorgestellt waren, nahm der Rat der Acht wieder Platz. Sogleich wurden mehrere Pagen mit einem knappen Flüstern oder einer jähen Geste herbeigerufen und zu Botengängen entsandt.
Fürst Marchs Aufmerksamkeit blieb unentwegt auf mich geheftet.
»Kapitän Tristan hat mich und den Rat darüber in Kenntnis gesetzt, was sich in Amenkor zugetragen hat. Er hat uns vom Angriff der Chorl und von dem Schaden berichtet, den nicht nur die Stadt, sondern auch der Thron erlitten hat.« Bei diesen Worten verstummte das leise Gemurmel, das eingesetzt hatte, während er sprach. Alle beobachteten, wie ich mich verhielt. »Ihm zufolge war der Schaden am Hafen beträchtlich, und der Umstand, dass Ihr hier seid – obwohl bislang noch keine Regentin je in der Lage war, die Stadt zu verlassen –, zeugt davon, wie riesig der Schaden am Thron gewesen ist.«
Ich spürte, wie meine Kiefermuskeln sich spannten, und dachte an Fürst Pyres Anschuldigungen in Temall, dass ich vielleicht gar nicht die wahre Regentin sei und die Macht Amenkors womöglich tot sein könnte. Ein Hauch dieser Anschuldigung schwang auch in Fürst Marchs Stimme mit.
»Ich bin sicher, dass Kapitän Tristans Bericht zutreffend war«, erwiderte ich, »aber Amenkor überlebt. Die inneren Mauern wurden bereits wiederaufgebaut, ebenso der Kai.«
»Und der Thron?«
Als ich mich Demasque zuwandte, fühlte ich bei Fürst March ein Aufflackern von Zorn ob dieser Unterbrechung.
Ich scharte die Macht des Flusses um mich und spürte, wie Fürst Sorrenti erstarrte und sich dann erschrocken vorbeugte, doch alles, was ich tat, war, den Fluss rings um alle Fürsten und Fürstinnen schwerer zu machen, sodass sie ein Gewicht auf ihren Schultern
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