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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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hätte Isaiah mit meinem finstersten Blick bedacht und ihn sogar mit dem Dolch bedroht, doch ich konnte die Erschöpfung in Ericks Augen sehen. Er hatte unverkennbar Mühe, wach zu bleiben und zu lächeln.
    Ich wollte mich aufrichten, aber Erick umklammerte meine Hand kräftiger, als ich es für möglich gehalten hätte.
    Ich beugte mich dicht zu ihm.
    »Danke«, flüsterte Erick.
    Dann schloss er die Augen, und sein Griff entspannte sich.
    Ich wartete kurz und blickte auf Ericks Gesicht hinunter. Seine Haut war immer noch blass und wirkte gespannt, aber seine Lippen waren nicht länger blutleer, und auf seiner Stirn schimmerte keine Schweißschicht mehr.
    Und er roch nach Orangen, wobei der Duft herb und kräftig war.
    Ich lächelte und richtete mich auf. Hinter mir spürte ich William, dessen Hand die meine suchte und sie leicht drückte.
    Als ich mich umdrehte, sah ich Avrell am Haupteingang, wo er mit einem Boten sprach. Seine Augen suchten die meinen, und er wurde unverhofft förmlich, ganz der Oberhofmarschall der Regentin.
    »Regentin«, sagte er, »Fürst March und die Fürsten und Fürstinnen von Venitte sind bereit, Euch zu begrüßen, wenn Ihr möchtet.«

    Auf dem Hof des Anwesens warteten genug Kutschen, dass ich ein Gefolge mitnehmen konnte. Größtenteils überließ ich die Auswahl Avrell, aber ich nahm Marielle, Heddan und Gwen als Eskorte für Ottul und William als Eskorte für mich mit. Außerdem begleiteten uns Keven und einige handverlesene Gardisten, allesamt in ihren feinsten Rüstungen. Die Begabten trugen Kleider in verschiedenen Gelb-, Grün- und Rottönen.
    Ich trug ein frisches weißes Hemd, eine Hose und meinen Dolch.
    Die Kutschen bahnten sich den Weg über den Hang des Hügels hinauf zum Ratsgebäude. Ich konnte das Kuppelbauwerk durch das Fenster sehen. Die Sonne schimmerte auf dem weißen Stein; Vögel kreisten in der Luft darüber. Doch schon bald wurde meine Aufmerksamkeit von der Stadt und den Menschen angezogen.
    Anders als bei unserem Eintreffen, als man uns zu unserer Unterkunft geführt hatte, waren die Straßen diesmal bevölkert. Frauen und Kinder drängten sich auf den Plätzen, und die Läden der Händler waren geöffnet. Glocken läuteten, und Stimmen erhoben sich zu Unterhaltungen, durchdrungen von Gelächter und Begrüßungsrufen. Hände wurden geschüttelt, Umarmungen ausgetauscht, und überall sah man feine Kleider, die weder zerschlissen wirkten noch ausgefranste Ränder oder ölige Flecken aufwiesen. Beutel und Bündel trug man offen, nicht schützend umklammert oder vor neugierigen Augen und geschickten Fingern verborgen.
    Es war nicht wie am Siel. Eher wie in der Oberstadt Amenkors innerhalb der Kreise.
    Ich bemerkte Gardisten in der Menge. Sie waren nicht gepanzert und steif wie das Protektorat; dies hier waren die gewöhnlichen Gardisten Venittes in Lederrüstungen und mit dem Zeichen von Fürst March auf der Brust. Mit Schwertern bewaffnet beobachteten sie die Leute mit scharfen Augen.
    Doch hier gab es keinen Abschaum, keine Taschendiebe, keine Straßenratten.
    »Wo sind die Elendsviertel?«, fragte ich.
    »Was?«
    Ich wandte mich vom Fenster ab und drehte mich Avrell zu. »Wo sind in Venitte die Elendsviertel?«
    »Auf der anderen Seite des Hügels, im Süden. Sie werden die Gosse genannt. Warum?«
    »Weil ich keine Gestalten aus der Gosse auf den Straßen sehe. Keine Bettler, keine Tagediebe.«
    »Das ist das Händlerviertel«, erklärte William.
    »Wo die Reichen und Mächtigen leben und arbeiten«, fügte Avrell hinzu. »Es überrascht mich nicht, hier keine Menschen aus der Gosse zu sehen.«
    »Warum sind hier dann so viele Gardisten?«
    Avrell rückte ans Fenster und blickte hinaus auf die Märkte und die wachsamen Gardisten. Keven und William taten es ihm auf ihrer Seite der Kutsche gleich. Aber niemand antwortete mir, und Avrell wirkte besorgt.
    Ich tauchte in den Fluss und kostete die Luft. »Sie sind angespannt und wachsam.«
    »Weshalb?«, fragte Keven.
    Ich schüttelte den Kopf. »Sie halten Ausschau nach irgendetwas.«
    »Nach den Chorl«, meinte Avrell. »Venitte weiß bereits, dass sie da draußen sind. Fürst March wird deshalb die Präsenz der Garde in der Stadt verstärkt haben.«
    Bald darauf rollten die Kutschen durch ein hohes Bogentor in einer gewaltigen Mauer, dicker und höher als die in Amenkor. Marielle sog hörbar die Luft ein und verrenkte sich den Hals, um die unzähligen bunten Banner zu sehen, die an der höchsten Stelle im Wind

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