Die Känguru Chroniken
es verboten, Graffiti auf fremde Kühe zu sprayen«, sage ich. »Bud Spencer hat bei den Olympischen Spielen gar keine Silbermedaille im Freistilschwimmen gewonnen, er ist im Halbfinale als Fünfter rausgeflogen. Guildo Horn heißt mit bürgerlichem Namen Horst Köhler. Paris Hilton ist jetzt mit einem Unternehmensberater zusammen. Der hat ihr empfohlen, sich noch weiter zu verschlanken. Haha. Die Königin von England …«
»Hör auf!«, schreit das Känguru. »Ich kann förmlich spüren, wie du wichtiges Wissen aus meinem Kopf hinausdrängst!«
»Und nicht nur das«, sage ich und setze zu einer pathetischen Rede an: »Die Informationsmüllindustrie hat ein so perfides, ausgefuchst-schlaues System geschaffen … Man müsste es bewundern, wenn man nicht drinstecken würde. Wie du ja weißt, gibt es im gelobten Land, bei uns, Pressefreiheit.Hier gibt es keine Zensur! Das ist auch gar nicht nötig, denn das Wichtige, das Interessante sucht man in der Informations-Müllhalde sowieso vergeblich. Nur wenn man einen Schritt zurückmacht und die ganze Müllhalde in den Blick nimmt, findet man eine kleine Wahrheit. Nämlich: Das ist eine Müllhalde! Und plötzlich liest du, dass die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden muss, und irgendwie kommt dir das komisch vor, und du fragst dich: ›Ist das der Brocken oder die Zugspitze im Hindukusch?‹ – aber alles, was du wusstest, wurde verdrängt. Du kannst dich nur erinnern an Krefeld, an das, was Oliver Pocher gestern gesagt hat, und an die Schwalben, die auf Robbie Williams’ Penis deuten, und dann – dann wirst du es schlucken. Wirst du alles schlucken. Dass längere Arbeitszeiten mehr Arbeitsplätz…«
»Entschuldige, dass ich hier kurz unterbreche«, sagt das Känguru. »Ich habe eine Zwischenfrage.«
»Hm?«, frage ich, langsam von meiner Kanzel herabsteigend.
»Eigene Kühe darf man aber mit Graffiti besprayen, oder was?«, fragt das Känguru.
»Kannst du heute mal bezahlen?«, fragt das Känguru nach dem Essen.
»Heute?«, frage ich. »Mal?«, frage ich. »Ich muss immer bezahlen, weil du nie Geld mitnimmst.«
»Tja«, sagt das Känguru lächelnd. »So ist das in der Welt. Der eine hat den Beutel, der andere hat das Geld.«
»Ja, aber vielleicht hat der andere irgendwann keine Lust mehr, den einen durchzufüttern.«
»Welcher andere?«, fragt das Känguru.
»Na ich!«, sage ich.
»Ach du immer mit deinem ich. Ich, ich, ich, ich, ich. Wie in deinen Geschichten: Ich wache auf. Ich gehe ans Telefon. Ich fahre Bahn. Ich sage, ich frage, ich denke, ich will.«
»Willst du damit kritisieren, dass ich nur Ich-Erzähler-Geschichten schreibe?«
»Nein, nein«, sagt das Känguru. »Jeder wie er’s kann. Das ist halt am einfachsten.«
»Ich könnte auch die Erzählperspektive wechseln«, sagte Marc-Uwe aufgebracht. »Jetzt bist du der Erzähler.«
Ich schüttelte den Kopf, steckte heimlich den Aschenbecher des Restaurants in meinen Beutel und sagte: »Das ändert doch nichts. Immer noch schreibst du als Ich-Erzähler.«
Marc-Uwe stutzte.
»Kein Problem. Kein Problem«, sagte er dann. »Allwissender Erzähler.«
Die Kritik an seinem Werk hatte die Aufmerksamkeit des braunhaarigen, mittelgroßen jungen Mannes so in Beschlag genommen, dass ihm darüber entging, dass das Känguru, welches in naher Zukunft eine böse Überraschung erleben würde, einmal mehr geschickt das Thema gewechselt hatte, um von seinen eigenen – finanziellen – Unzulänglichkeiten abzulenken.
»Moment mal!«, ruft Marc-Uwe. »Du willst doch hier bloß ablenken.«
Aber das Känguru hatte das Restaurant schon längst unauffällig verlassen.
Lange noch saß Marc-Uwe an seinem Tisch, dachte über das Geschehene nach und verfluchte seinen Kompagnon. Er konnte ja nicht wissen, dass das Känguru in diesem Moment auf der Straße von einem Bus, nein, einem Truck, einem 40-Tonner, dessen übermüdeter Fahrer immer wieder in Sekundenschlaf verfiel …
»Untersteh dich!«, rief das Känguru, welches plötzlich wieder zur Tür reinstürmte und zehn Euro auf den Tisch knallte.
»Hier! Und jetzt lass diesen ›allwissend, allmächtig‹-Scheiß.«
»›Okay‹, sage ich«, schrieb Marc-Uwe. Aber in Wahrheit hatte er Blut geleckt. Die nächste Geschichte würde er aus der Perspektive eines Aschenbechers schreiben. Eines heldenhaften Aschenbechers in Gefangenschaft eines heimtückischen Beuteltiers. 3
»Ich hab gehört, du erzählst neuerdings von mir im Radio«, sagt das
Weitere Kostenlose Bücher