Die Känguru Chroniken
»Das können Sie dem Herrn ausrichten.«
»Das Känguru meint, das reiche nicht«, sagt der Mann zu mir.
»Sagen Sie bitte dem Känguru, wenn dem so sei, könne es mir den Buckel runterrutschen.«
»Der Herr meint, das müsse reichen«, sagt der Mann zum Känguru.
»Na, dann ist ja alles gesagt«, sagt das Känguru.
»Das Känguru sagt, dann sei alles gesagt«, sagt der Mann.
»Ich hab’s gehört!«, sage ich. »Ich bin ja nicht taub. AberSie werden doch zugeben, dass es sich absolut lächerlich benimmt. Würden Sie sich in seiner Situation so kindisch verhalten? Sicher nicht.«
»Ich weiß ja gar nicht, was passiert ist«, sagt der Mann.
»Das geht Sie auch nichts an!«, sage ich schnippisch. »Wir kennen uns doch gar nicht.«
Der Mann zuckt mit seiner Nase und schiebt seine Brille zurück.
»Ganz schön aufdringlich«, sagt das Känguru. »Wir fragen Sie doch auch nicht über Ihr Privatleben aus.«
»Nehmen Ihre Kinder Drogen, geht Ihre Frau fremd, werden Sie von Ihren Arbeitskollegen nicht ernst genommen?«, frage ich.
»Na hören Sie mal!«, sagt der Mann.
»Na hören Sie mal!«, äfft das Känguru ihn nach und zuckt mit seiner Schnauze. »Ich bin ein Hamster, ein Hamster. Nag, nag, nag, nag, nag.«
Der Mann steht auf und setzt sich auf einen einzelnen freien Platz am anderen Ende des Waggons.
»Das war ganz schön gemein«, sage ich.
»Meinste?«, fragt das Känguru.
»Ich finde, du könntest dich entschuldigen«, sage ich.
Das Känguru steht auf. Neben dem kleinen, dicken Mann sitzt eine kleine, dicke Frau. Das Känguru setzt sich neben sie. Die Frau hat ein winzig kleines Näschen und kleine, treudoofe Kulleräuglein. Sie erinnert überhaupt entfernt an ein …
»Ey, Meerschweinchen«, sagt das Känguru und stupst sie an. »Können Sie bitte dem kleinen, dicken Mann sagen, dass es mir leid tut, dass ich ihn einen Hamster genannt hab?«
Vor fünf Jahren hatte ich einen Flug im Internet gebucht. Äußerst günstig, versteht sich. Abflug: 5:30. Fünf Uhr dreißig. Morgens. Es war unbestreitbar ökonomisch richtig, den frühen Flug zu nehmen. Die praktische Umsetzung meiner Wahnsinnstat bekümmerte mich nicht im Geringsten. Als heute um halb vier der Wecker klingelte, sind das Känguru und ich zu Opfern meines Fünfjahresplanes geworden. Das Känguru will mich nämlich unbedingt begleiten. Es schiebt freundschaftliche Gründe vor, aber ich glaube, es ist einfach nicht in der Lage, sich auf Dauer selbst zu versorgen. Wie dem auch sei, das Känguru ist quietschfidel, hat ganz laut Nirvana aufgedreht, singt »I can’t complain – I’m on a plane 4 !« und hüpft dazu wie wild in meinem Zimmer auf und ab. Nun sind auch all meine Nachbarn Opfer meiner unbestreitbar ökonomisch richtigen Entscheidung geworden.
»Alter!«, sage ich. »Es is vier Uhr früh! Was hast’n du für ’nen, äh … Biorhythmus?«
Wir fliegen von Berlin-Schönefeld nach Berlin-Tegel. Wollen da im gleichnamigen See baden. Durch den Frühbucherrabatt war der Flug einen Euro billiger als S-Bahn zu fahren.
Als wir das Ticket für die S-Bahn zum Flughafen lösen, beschleicht mich der unangenehme Verdacht irgendeinen Denkfehler gemacht zu haben.
Am Flughafen gibt es zufällige, verdachtsunabhängige Intensivkontrollen, und wie immer wird zufällig, verdachtsunabhängig ausgerechnet das Känguru kontrolliert.
»Weil ich zufällig, verdachtsunabhängig nicht so unverdächtig weiß-mitteleuropäisch aussehe?«, fragt es.
»Exakt«, brummt der outgesourcte, lohngedumpte Sicherheitsdienstleister.
»Und nu?«, fragt das Känguru. »Was willst du von mir, Mann ohne Eigenschaften?«
»Leeren Sie mal bitte ihren Beutel.«
Wahnsinn, was es immer alles dabeihat: Kurt Cobains Tagebücher, eine Familienpackung Aspirin, einen alten Teddybär, eine Hängematte, ein Schlauchboot, eine Mao-Bibel, rote Boxhandschuhe, diverse Aschenbecher, zwei Packungen Schnapspralinen, meinen MP3-Player …
»Ach, kuck an«, sage ich. »Mein MP3-Player.«
Das Känguru zuckt mit den Schultern. »Ach. Mein, dein. Das sind doch bürgerliche Kategorien.«
»Dann jetzt noch den Beutel aufs Band bitte«, sagt der Mann.
Das Känguru blickt ihn verwirrt an.
»Das geht nicht«, sagt es konsterniert.
»Den Beutel bitte aufs Band«, wiederholt der Mann.
»Der ist angewachsen«, sagt das Känguru.
»Der Beutel«, sagt der Mann noch mal überdeutlich, »muss aufs Band.«
Seine Kollegin versucht mit einer Übersetzung weiterzuhelfen: »Please put the
Weitere Kostenlose Bücher