Die Känguru Chroniken
wirklich interessiert, kannst du die Antwort in meinem unveröffentlichten Hauptwerk nachlesen.« Es zerrt einen sehr dicken Stapel von Hand bekritzelter Blätter aus seinem Beutel und drückt ihn mir in die Hand.
»Ich habe es Opportunismus & Repression genannt«, sagt das Känguru.
»Bin beeindruckt«, sage ich.
»Lies die ersten Worte«, sagt das Känguru. »Die werden irgendwann berühmt sein. Junge Revoluzzer werden sie an alle Wände sprühen. Kleine Mädchen werden sie mit Filzern an ihre Kinderzimmerwand malen. In großen Bronzelettern werden sie an den Universitäten einer zukünftigen, nachkapitalistischen Gesellschaft angeschlagen werden.«
Ich schlage die erste Seite auf und lese laut vor: »Alles Scheiße. Warum? Ich sag’s euch, Kinder.«
Das Känguru hat die Worte mitgemurmelt und nickt nun zufrieden.
»Ein vielversprechender Einstieg«, sage ich. »Aber warum ist es unveröffentlicht?«
»Lies es einfach. Das steht auch drin. Kapitel 13.«
»›Die deutsche Verlagslandschaft, oder: Springer, die alte Sackratte‹?«, frage ich.
»Ja genau. Da kannste nämlich nachlesen, dass der feine Ullstein-Verlag, wo der feine Herr so gerne veröffentlichen möchte, auch zur Bildzeitung gehört.«
»Nicht mehr!«, protestiere ich. »Hab extra bei Wikipedia nachgekuckt. Jetzt gehören die irgendwelchen Dänen oder Schweden oder so. Jedenfalls Skandinavien. Die ham total hohe Sozialausgaben. Hab ich gehört.«
»Deine Frage mit den knappen Wahlentscheidungen findeste übrigens in Kapitel 11 beantwortet«, sagt das Känguru.
»Der Haken an der parlamentarischen Demokratie, oder: Wie mancher durch den Marsch durch die Institutionen zum Arsch durch die Institutionen wurde«, lese ich die Kapitelüberschrift.
»Und steht da auch drin, welchen Film wir jetzt kucken sollen?«, frage ich.
»Ja«, sagt das Känguru. »Kapitel 47: ›Der beste Film der Welt – Banana Joe‹.«
Aus Opportunismus & Repression
Kapitel 2: »Wie ich die Sache sehe«
… der Kapitalismus ist ein in jahrhundertelangem Arbeitskampf mühsam gefesseltes Monster, das Menschen frisst und Gold scheißt. Was wir in den letzten Jahrzehnten miterlebt haben, ist, wie die Leute, auf die das Gold geschissen wird, die Ketten des Monsters gesprengt haben, damit es wieder mehr Menschen frisst und noch mehr Gold scheißt und man kann nur hoffen, dass diese Leute irgendwann von den herabfallenden Goldklumpen erschlagen werden …
»Ich hab mal nachgedacht«, sagt das Känguru.
»Hört, hört!«, sage ich.
»Glaubst du an Schulden?«
»Hä? Fragst du mich, ob es Schulden gibt? Natürlich! Alle haben Schulden. Ob ich dran glaube oder nicht ist doch irrelevant.«
»Nee. Ganz im Gegenteil«, sagt das Känguru. »Das ist irre relevant. Schulden sind ja nix Reales, also weißt du, wie ein Haus oder ’ne Käsestulle. Sondern sind ja nur ’ne Absprache, sind nur im Kopf, verstehste?«
»Hm.«
»Kuck«, sagt das Känguru. »Ich schulde dir noch 4,95.«
»Für die Wasserpistole, die Science-Fiction-Geräusche macht?«
»Ja, für die Wasserpistole, die Science-Fiction-Geräusche macht.«
»Piu, piu, piu«, sage ich und schieße mit meiner Fingerpistole im Zimmer umher.
»Und jetzt tun wir beide einfach so, als würde ich dir nix schulden«, sagt das Känguru. »Und piu, piu, piu. Jetzt schulde ich dir nichts mehr.«
Ein paar Sekunden blicke ich stumm das Känguru an.
»Aha«, sage ich.
»Schulden sind ein bisschen wie Gott«, sagt das Känguru.»Wenn man nicht dran glaubt, muss man sie nicht fürchten.«
»Noch mal zum Mitschreiben«, sage ich. »Du behauptest jetzt also, dass du mir gar keine 4,95 schuldest?«
»Genau«, sagt das Känguru. »Und wenn jetzt zum Beispiel alle so tun würden, als hätte Berlin keine Schulden mehr, dann hätte Berlin auch keine Schulden mehr.«
»Ja«, sage ich, »aber warum sollten das die Gläubiger tun?«
»Das ist das Schöne daran«, sagt das Känguru. »Es reicht, wenn’s die Schuldner tun. Wenn sich die alle einig sind – das wären dann nämlich ungefähr 99,9 Prozent der Weltbevölkerung –, könnten die Gläubiger kommen und sagen: ›Ey, ihr habt Schulden bei uns‹, und wir stellen uns einfach dumm und sagen: ›Weiß ich nix von …‹«
»Hm«, sage ich.
»Und jetzt stell dir vor, wenn einfach alle so tun würden, als hätte keiner mehr Schulden. Dann gäbe es keine Schulden mehr. Das ist doch irre. Da lässt man die Leute verhungern und erfrieren, aber nicht weil’s an Häusern
Weitere Kostenlose Bücher