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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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den klassischen Schnitt auf das Close-up meines Gesichts …«
    »Die Kamera?«, unterbricht mich das Känguru.
    »Ja, klar«, sage ich. »Meine Träume sind geschnitten. Wie ein Film. Deine etwa nicht?«
    »Hab ich noch nie drüber nachgedacht«, sagt das Känguru.
    »Ich träume in Kamerafahrten und Zooms. Da gibt’s Fadeouts, Überblendungen und seit Matrix natürlich immer wieder Bullet-time-Aufnahmen. Und manchmal weiß ich dannhalt schon durch die Art, wie des geschnitten ist, was gleich passiert.«
    »Irre«, sagt das Känguru.
    »Zum Beispiel, die eine Stelle, bevor du das erste Mal angegriffen hast. Da gab’s auf der Audiospur dieses Vogelgeräusch: U-U-A-A-A-A. Und zwar von hinten links nach vorne rechts. Also quasi von der rechten Surround-Box zum front-left-speaker. Und dazu hat die Kamera so ’ne Ballhaus’sche 360-Grad-Drehung um die Kompanie gemacht. Kannstes dir vorstellen?«
    »Ja«, sagt das Känguru. »Ziemlich gut sogar.«
    »So wie die Szene angelegt war, wusste ich schon, dass gleich was Schlimmes geschieht.«
    »Solche Imaginationshilfen könnteste auch mal in deinen Geschichten benützen«, sagt das Känguru. »Fände ich gut, wenn du dich da den modernen Rezeptionsgewohnheiten anpasst. Dann würden die Storys vielleicht ein wenig lebendiger rüberkommen.«
    [Close-up-Gesicht Marc-Uwe: Er blinzelt]
    [Close-up-Gesicht Känguru: Es blinzelt]
    [Close-up-Gesicht Marc-Uwe] »Hm.«
    [Halbtotale: Marc-Uwe im Bett. Das Känguru auf einem Stuhl daneben]
    [Fade-out]

»Kuck mal«, sage ich. »Hier im Internet steht’s. Georg Büchner ist mit dreiundzwanzig gestorben, hat drei bahnbrechende Theaterstücke geschrieben, war Doktor der Medizin und musste als gesuchter Revolutionär seine Heimat verlassen. Dreiundzwanzig. Dieser Arsch. Wie hat der das gemacht? Wo hat er die Zeit dafür hergenommen?«
    »Du musst bedenken«, sagt das Känguru, »der konnte damals nicht seinen Namen googlen, konnte nicht über ›Germany’s Next Topmodel‹ abstimmen, musste sich nicht um seine MySpace-Freunde kümmern, und Sudokus gab’s damals auch noch nicht. Zumindest nicht in diesen Längengraden. Da musste man die Zeit halt anderweitig totschlagen.«
    »Du hast recht!«, sage ich und klappe mein Notebook zu. »Dieses Scheißgerät klaut mir nur meine Zeit. Es sind drei Stunden vergangen, seit ich das Ding angemacht habe, und was habe ich getan? Ich weiß es nicht mehr. Ja, klar. Ich kann in den Browser-Verlauf kucken, aber das erklärt noch immer nicht, warum ich das getan habe. Warum habe ich mir ’ne halbe Stunde Meinungen von Leuten, die ich nicht kenne, über einen Film, der mich nicht interessiert, durchgelesen?«
    »Ja, ja«, sagt das Känguru. »Das Tolle am Internet ist, dass endlich jeder der ganzen Welt seine Meinung mitteilen kann. Das Furchtbare ist, das auch jeder es tut.«
    »Schön gesagt«, sage ich.
    »Das hatte ich mir schon länger zurechtgelegt«, sagt das Känguru. »Habe nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, das in eine Konversation einfließen zu lassen.«
    »Ich hab auch einen Spruch«, sage ich und deute auf die Telefondose, aus der das Internet kommt: »Die Buchse der Pandora.«
    »Man müsste sie einfach aus der Wand reißen«, sagt das Känguru.
    »Ja«, sage ich. »Sehr gut. Das machen wir.«
    »Wir holen uns unser Leben zurück«, ruft das Känguru. »Nieder mit der Virtualität!«
    »Keep it real!«, rufe ich.
    »Dann mach«, sagt das Känguru zu mir. »Zieh.«
    Ich zögere. »Mach du«, sage ich. »Du bist hier der Kandidat fürs Radikale.«
    Energisch nimmt das Känguru das Kabel in die Pfote und hält dann plötzlich inne.»Vielleicht sollte ich vorher noch mal kurz meine E-Mails checken«, sagt es.
    »Ich zuerst«, sage ich und schnappe mir das Notebook.
    »Du hast doch gerade erst«, beschwert sich das Känguru.
    »Ja, aber ich muss doch zumindest noch ’ne Abwesenheitsnotiz verfassen, und vielleicht hat mir inzwischen schon jemand geantwortet.«
    Hat aber niemand. Das Postfach des Kängurus ist ebenso leer.
    »Ich schreibe dir eine E-Mail, wenn du mir auch eine schreibst«, sage ich.
    »Google doch mal Georg Büchner«, sagt das Känguru.
    751000 Treffer.
    »Bis der des alles durchgelesen hätte …«, sage ich, »da wäre der auch nicht mehr zum Schreiben gekommen.«
    »Geschweige denn zum Revoluzzen«, sagt das Känguru.
    »Kuck mal hier«, sage ich. »Da gibt’s den Trailer für den neuen Film mit Vin Diesel.«
    Klick.

    Aus Opportunismus & Repression
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