Die Känguru Chroniken
doch keinesfalls hinreichende Bedingung.«
»Wie bitte?«, fragt der Mann verwirrt.
»Nun, sehen Sie …«, versuche ich zu erklären und lege ebenfalls meine Karten beiseite, »… zum Beispiel das Känguru hier ist oft sehr unfreundlich, deswegen ist es ja aber noch lange nicht Polizist.«
»Ich verstehe immer noch nicht.«
»Na, wenn ich mir Sie so ankucke«, sage ich, »würde ich behaupten, es ist zu intelligent …«
»Jetzt stellen Sie mal den Tratsch ein und zeigen mir Ihren Ausweis!«, sagt das Känguru. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Der Polizist kramt in seinen Taschen.
»Einen Moment. Gleich hab ich ihn. Der muss hier irgendwo sein. Ich bin mir ganz sicher, dass ich den eingesteckt habe …«
Das Känguru rollt mit den Augen, blickt verärgert auf sein Handgelenk und seufzt dabei genervt. Es hat zwar gar keine Uhr um, aber die Geste erfüllt trotzdem ihren Zweck.
»Das gibt’s doch gar nicht«, sagt der Mann. »Ich war mir sicher, den hier in der Innentasche, also normalerweise habe ich den immer hier in der Innentasche …«
»Ja, ja«, sagt das Känguru. »Hören Sie auf, hier Märchen zu erzählen. Verloren, zu Hause vergessen, der Hund hat ihn gefressen … Was glauben Sie, wie oft ich mir das schon anhören musste.«
»Was wollen Sie überhaupt überprüfen?«, frage ich. »Ob hier jemand Mozartkugeln schmuggelt?«
»Ja! Ich gestehe!«, schreit das Känguru. »Ich habe ein Wiener Schnitzel in meinem Beutel versteckt!«
»Hier!«, ruft der Mann plötzlich erlöst. »Ich habe ihn gefunden!«, und er zeigt uns seinen Dienstausweis.
»Na bitte!«, sagt das Känguru. »Geht doch. Warum nicht gleich so. Und nächstes Mal, junger Mann, halten Sie Ihren Ausweis griffbereit. Zeit ist Geld. Geld ist knapp.«
»Nächstes Mal können wir Sie nämlich nicht so glimpflich davonkommen lassen«, füge ich noch hinzu, während das Känguru unwirsch die Abteiltür zwischen uns und dem Beamten wieder schließt.
»Mao«, sagt das Känguru.
»Ey! Des waren meine Karten!«, sage ich. »Dein Stapel war der große. Außerdem heißt es nicht Mao, sondern Mau.«
Der Dschungel. Undurchdringliches Grün. Vorsichtig schleichen die Soldaten durchs Dickicht. Fast lautlos. Fast. Immer wieder knacksen Äste. Das Blattwerk raschelt. Mit lautem Geschrei fliegen aufgeschreckte Vögel davon. Unheimliche, nie zuvor gehörte Laute dringen an der Soldaten Ohr. U-U-A-A-A-A – von hinten rechts nach vorne links. Alles dreht sich. Sie sind müde und erschöpft, und in ihren Gesichtern spiegelt sich nichts als Angst.
Plötzlich greift der Feind an. Nur mit einem Messer bewaffnet und einem Stirnband um den Kopf springt er aus einem Hinterhalt. Bevor auch nur ein Schuss gefallen ist, hat er zwei von uns aufgeschlitzt und ist mit großen Sätzen wieder verschwunden. Die anderen stehen unter Schock, haben nichts Genaues erkennen können, aber ich, ich schwöre, dass es ein Känguru war … U-U-A-A-A-A.
Wie erstarrt steht die Kompanie da, bis der Kamerad neben mir anfängt zu schreien und wild um sich schießend ins Dickicht rennt.
Wachgerüttelt folgen ihm die anderen unter irrem Kriegsgeheul. Auch ich renne los. Als ich endlich wieder zu Sinnen komme, bemerke ich, dass ich allein bin. Oder doch nicht? Ich drehe mich im Kreis. Überall – oben, unten, auf allen Seiten – nur Dschungel. Plötzlich vernehme ich ein verdächtiges Geräusch in den Bäumen über mir. Ich reiße mein Gewehr indie Luft, drücke auf den Abzug. Nichts passiert. Ladehemmung. Da kracht es hinter mir, und ich spüre ein Messer an meiner Kehle. Ich schreie …
… und wache auf. Das Känguru sitzt auf einem Stuhl neben meinem Bett und beobachtet mich. Keuchend richte ich mich auf.
»Was machst du denn hier?«, frage ich.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagt das Känguru.
»Und da hast du gedacht, du kommst rüber und kuckst mir beim Schlafen zu?«, frage ich. »Des find ich ganz schön psycho.«
»Du hast so geschrien«, sagt das Känguru.
»Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Ich wollte rauskriegen, wovon du träumst.«
»Von dir!«, sage ich. »Von Vietnam.«
Ich erzähle dem Känguru meinen Traum.
»Hat dich mein Angriff also völlig überrascht?«, fragt das Känguru zufrieden nickend.
»Von wegen«, sage ich. »Auf ’ner Metaebene hab ich schon die ganze Zeit gewusst, dass du da oben in den Bäumen sitzt. Weil die Kamera immer wieder so verdächtig durch die Blätter auf mich runter gespickt hat. Und dann gab’s
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