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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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zweites.«
    »Wie muss man das …«
    Runter …
    und hoch …
    »Du musst dich einfach locker machen.«
    »So?«
    Runter.
    »Spür die Schwingungen.«
    »So?«
    Runter.
    »Nee. Nicht so verkrampft. Überlass dem Jo-Jo die Führung!«
    Runter …
    und hoch …
    »So?«
    »Ja. Genau so.«
    Runter … runter …
    und hoch … hoch …
    Runter … runter …
    und hoch … hoch …
    Runter … runter …
    und hoch … hoch …

Ein Rudel Halbstarker jagt uns grölend um den Block. Rucksack und Wertgegenstände habe ich schon fallen gelassen, was jubelnd zur Kenntnis genommen wurde.
    »Musste das sein?«, frage ich das Känguru im Rennen.
    »Ich lass mich doch nicht blöd anpöbeln!«, sagt das Känguru und macht dabei so große Sprünge, dass ich Schwierigkeiten habe, mitzukommen.
    »Da biste lieber morgen die Schlagzeile im Berliner Kurier, oder was?«, frage ich. Eine leere Bierdose trifft mich am Hinterkopf.
    »Zum Glück ist diesen doofen Asis Flaschenbier zu teuer«, sagt das Känguru.
    »So darfst du die nicht nennen«, japse ich. »Man muss das differenzierter sehen. Die sind auch nur Opfer ihrer Umstände.«
    »Wer ist das nicht?«, fragt das Känguru lapidar und weicht geschickt einer weiteren Bierdose aus.
    »Was ist schon die direkte, physische Gewalt Einzelner gegen die omnipräsente, strukturelle Gewalt der Gesellschaft?«, frage ich und entledige mich meines Mantels. »Man muss sich doch mal die Frage stellen – wer ist hier Täter, wer Opfer?«
    »Bleibt stehen, ihr Opfer!«, schreit der Anführer der Jugendlichen uns hinterher.
    »Die für ihren Teil haben diese Frage offensichtlich schon durchdiskutiert und sind zu einem für uns ungünstigen Ergebnis gekommen«, keucht das Känguru. »Rechts!«
    Wir biegen scharf ab.
    »Runter in die U-Bahn.«
    Wir rennen die Treppen hinunter und müssen feststellen, dass keine Bahn bereitsteht. Wir laufen schnell an den wartenden Fahrgästen vorbei, die erst irritiert und gleich darauf, als der Mob hinter uns die Treppen runterstürmt, unbeteiligt gucken. Am anderen Ende des Bahnhofs eilen wir die Treppen wieder hoch.
    »Du musst mehr Mitleid haben«, sage ich und stolpere fast über meine Füße. »Sie reproduzieren doch nur den Zwang und die Gewalt, die ihnen angetan werden.«
    »Ja genau«, faucht das Känguru schwer atmend. »Sie reproduzieren nur den Zwang und die Gewalt, die ihnen angetan werden. Genau deshalb habe ich so wenig Mitleid mit denen. Sie sind zu stumpf, um über ihre Lage und die Gründe dafür zu reflektieren und sich angemessen revolutionär zu verhalten.«
    »Links!«, rufe ich.
    Wir rasen um die Ecke.
    »Aber man kann denen doch nicht zum Vorwurf machen«, hechle ich, »dass es ihnen durch eine verfehlte Bildungspolitik verwehrt wird, zu dieser Reflektionsstufe vorzudringen.«
    Der erste Stein zischt knapp an meinem Ohr vorbei.
    »Hör dich doch nur an!«, ruft das Känguru. »Du machst dich ja zum Apologeten der Tumbheit! Natürlich ist niemand selbst schuld, wenn er im Schlamm geboren wird, aber doch trägt er eine gewisse Verantwortung, sich daraus zu befreien. In die U-Bahn!«
    Wieder rennen wir die Treppen hinunter. Gleich wird mich das Seitenstechen umbringen.
    »Hoffen wir, dass keine Migrantenkinder unter unseren Verfolgern sind«, sagt das Känguru schnaufend. »Das würde dein Weltbild wohl kaum noch verkraften.«
    »Rechts!«, schreie ich.
    »Wir machen euch platt, ihr Kanacken!«, tönt es von hinten.
    »Puh«, denke ich. »Glück gehabt.«
    Und noch mehr Glück. Tatsächlich fährt eine U-Bahn ein.
    »In den vordersten Wagen!«, ruft das Känguru.
    Kurz vor dem Schließen der Türen schaffen wir es hinein. Unsere Verfolger hechten sich in den Wagen hinter uns. Die Bahn ruckelt los. Durch die Scheibe zwischen den Waggons starren wir uns an.
    »Wie alt sind die?«, frage ich. »Zwölf?«
    »Und was machen die da?«, wundert sich das Känguru. »Filmen die uns mit ihren Handys?«
    »Im Dunkeln sahen die irgendwie älter aus«, sage ich und halte mir die Seite. »Irgendwie …«, ich atme tief ein und aus, »… gefährlicher.«
    Der Wagen hält. Das Känguru holt die roten Boxhandschuhe aus seinem Beutel. »Jetzt bekommen sie noch mehr Gewalt zum Reproduzieren.«
    Ich hole mein Handy aus der Tasche und aktiviere die Videokamera. Die Türen öffnen sich. »Es ist ein Teufelskreis«, seufze ich kopfschüttelnd, als ich auf die Record-Taste drücke.

»Wissen Sie, es ist diese latente Gewaltbereitschaft, die in jedem

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