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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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tippt der kleine Bruder dem Känguru von hinten auf die Schulter.
    »Die Polen sagen, du warst das.«
    Das Känguru dreht sich um.
    »Es handelte sich hier um eine reine Vorsorgeuntersuchung, meine Herren«, sagt das Känguru. Unvermittelt deutet es auf die Leinwand und schreit: »Kuckt mal! Ein Tor!«
    Alle Köpfe wenden sich dem Spiel zu. Eine Sekunde später ist das Känguru in der Menge verschwunden.
    »Ähem. Also. Ich steh hier nur zufällig rum«, sage ich.

Wir stehen vor der Tür.
    »Und hörst du: Nicht über Politik reden!«, flüstere ich noch mal.
    »Ja, ja«, sagt das Känguru.
    »Wir gehen nicht auf diese Party, um uns zu amüsieren. Wir sind hier, weil mir diese Leute meinen Film finanzieren sollen.«
    »Ist klar«, sagt das Känguru.
    »Du hast es versprochen.«
    »Jetzt klingel endlich«, sagt das Känguru.
    »Und keinen Alkohol.«
    Das Känguru gähnt.
    »Ich glaube, es war ein Fehler, dich mitzunehmen«, sage ich seufzend.
    Das Känguru klingelt, sofort wird die Tür aufgerissen.
    »Hiiiii!«, sagt eine trendig gekleidete Frau, und das lang gezogene ›i‹ hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem Geräusch eines Zahnarztbohrers. »Kommt herein in unser kleines Penthouse! Das ist unser Wohnzimmer. Der Pool ist auf der Dachterrasse.«
    »Wahnsinn«, staune ich, »das ist ja riesig.«
    »Was macht denn das Auto im Wohnzimmer?«, fragt das Känguru.
    »Ach das. Wir haben einen Garagenaufzug, durch den wir das Auto direkt in der Wohnung parken können.«
    »Und das in Kreuzberg«, sagt das Känguru.
    Ich blicke es böse an.
    »Ich mein ja nur«, sagt das Känguru. »Das muss doch nerven, wenn jedes Mal am 30. April alle Bekannten ankommen und fragen, ob sie für die Nacht ihr Auto in eurem Wohnzimmer parken könnten.«
    »Ahaha …«, lacht die Frau künstlich.
    »Ahaha …«, lacht auch das Känguru.
    Zum Glück klingelt es, und mit einem entschuldigenden Achselzucken verschwindet unsere Gastgeberin Richtung Tür. Wir mischen uns unter die Partygäste. Ich suche nach den furchtbar wichtigen Leuten, das Känguru nach dem Buffet. Auf diesen Partys gibt es eigentlich nur zwei Kategorien von Menschen: die, die dich kennen, die du aber nicht kennst, und die, die du kennst, die dich aber nicht kennen.
    »Marc-Uwe! Kommen Sie, kommen Sie!«, winkt mich mein Agent heran. »Darf ich vorstellen? Das ist unser Gastgeber!«
    »Erzählen Sie uns doch mal von Ihrer Filmidee, Marc-Uwe«, sagt der Gastgeber nach dem Begrüßungsgeplänkel.
    »Also«, sage ich. »Die Idee habe ich schon ganz lange. Der Film soll heißen: ›Die dürren Jahre sind vorbei‹.«
    Ich mache eine kurze Pause, um das sacken zu lassen.
    »Hervorragend!«, sagt mein Agent. »Tolle Idee.«
    »Es geht um eine Gruppe Yuppies, die in die Wohnungen von Hippies einbrechen …«, fahre ich fort, »und dann stellen die alle Möbel um.«
    Wieder mache ich eine Pause. Die Runde hängt an meinen Lippen.
    »Und dann kommen die Hippies nach Hause und merken gar nix.«
    »Hervorragend!«, sagt mein Agent. »Tolle Idee.«
    »Das ist so ganz grob die Handlung«, sage ich. »Mit nur zehn Millionen Euro ist das machbar, denke ich.«
    »Ich weiß nicht«, sagt ein junger Mann, der bisher nur schweigend neben dem Gastgeber gestanden hatte. »Ich finde das nicht so überzeugend. Ich finde, Kunst muss radikaler sein. Muss verstören. Muss den Leuten auf die Füße treten.«
    Das Känguru ist herbeigekommen. Es stand die ganze Zeit an der Bar, in ein sichtlich langweiliges Gespräch verwickelt, und kippte einen Sekt nach dem anderen. Jetzt reicht es mir unauffällig einen Zettel. Darauf steht: »Worte, die ich in abendlichen Gesprächen auf Partys nie mehr hören will: Set-up, Systemeinstellungen, Netzwerkumgebung.«
    Ich schreibe darunter: »Worte, die ich heute Abend nicht von dir hören will: Kapitalismus, Schweinesystem, Vietcong.«
    »Das ist übrigens mein Sohn«, sagt unser Gastgeber und stellt uns den circa zwanzigjährigen Querulanten vor. »Er wird Ihnen gefallen. Auch so ein Weltverbesserer. Hahaha. Er will in die Politik gehen.«
    »Tatsächlich?«, frage ich müde.
    »Ja, aber erst so mit vierzig oder so. Vorher will ich noch in die Wirtschaft und genug Geld verdienen, damit ich dann unabhängig bin.«
    »Prima Idee«, sage ich in diesem leicht ironischen Tonfall, den die Leute leider nie mitbekommen. »Und was studierst du? BWL?«
    Er nickt.
    »Da hab ich auch schon ’ne prima Weltverbessererpartei für dich«, sagt das Känguru und wendet sich ab.

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