Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
Crew!«
Das heißt im Prinzip nichts anderes, als dass man dafür bezahlt, arbeiten zu dürfen. Schon als der erste Praktikant eine Stelle ohne Lohn akzeptiert hat, war diese Entwicklung wohl nicht mehr aufzuhalten.
Im Übrigen kann man sich natürlich gegen einen Aufpreis von der Arbeit auf dem Schiff befreien lassen. Nach nur zehn Minuten Arbeit haben wir dieses Angebot sehr gerne angenommen. Auf Verlagskosten. Auch gibt es zum Glück klimatisierte Kojen, sieben verschiedene Restaurants, eine Shopping-Mall und einen Wellness-Bereich.
Das Känguru stöhnt.
»Kommste mit, was essen?«, frage ich.
Das Känguru antwortet nicht.
»Ach! ’tschuldigung. Eher nicht, was?«
»Doch. Ich komme mit«, sagt das Känguru. »Ich brauche Wasser.«
Wir gehen unter Deck. Da ist ein Nordsee, ein Nanu-Nana und ein geschlossener Schlecker. Gegenüber eröffnet gerade ein neuer Frozen-Yogurt-Laden.
»So langsam glaube ich, diese Déjà-vus sind keine Fehler in der Matrix«, sage ich. »Sie sind die Matrix.«
Wir gehen in eines der großen Restaurants und setzen uns an einen freien Tisch. Irgendwann kommt der Kellner.
»Ich hätte gerne den XXXL-Eisbecher für Zwei«, sage ich. »Aber nur ein Besteck. Und dazu bitte noch den New-York-cheese-cake mit frittiertem Schokoriegel.«
Der Kellner will gehen.
»Und ein Glas Wasser bitte«, krächzt das Känguru.
»Was?«, fragt der Kellner.
»Wasser! Wasser!«, krächzt das Känguru. »Water! Agua! Eau!«
»Mit oder ohne?«, fragt der Kellner.
»Hä?«
»Kohlensäure.«
»Egal.«
»Egal gibt’s nicht«, sagt der Kellner. »Mit oder ohne?«
»Mit«, stöhnt das Känguru.
»Wir haben nur ohne.«
»Dann halt ohne.«
»Groß oder klein?«
»Egal …«
»Egal gibt’s ni…«
»Groß!«
»Groß ist eine ganze Flasche«, sagt der Kellner. »Wollen Sie wirklich eine ganze Flasche?«
»Egal …«, murmelt das Känguru schwach.
»Ja, wie nu? Ja oder nein?«
»Ich kotz dir gleich auf die Füße!«, sagt das Känguru, woraufhin der Kellner beschließt, dass es wohl doch egal sei.
»Immer wenn ich seekrank bin«, sagt das Känguru, »denke ich mit Respekt daran, wie Fidel und seine achtzig Männer es bei hohem Seegang auf diesem viel zu kleinen Kahn ausgehalten haben, als sie von Mexiko nach Kuba fuhren. Sieben Tage lang. Das Schiff hatte viel zu viel Gewicht, lag zu tief im Meer. Wasser drang durch undichte Planken. Zu essen gab’s nichts außer verfaulte Orangen …«
»Du weißt ja Bescheid«, sage ich. »Allerdings hatte Fidel einundachtzig Männer dabei und nicht achtzig.«
»Fidel hatte achtzig Männer dabei. Achtzig Männer und ein Känguru.«
»Was?«, frage ich erstaunt.
»Ein Onkel von mir. Der hatte mich auch gewarnt. Was immer du mit deinem Leben anfängst, hat er gesagt, äh … ich hab’s vergessen.«
»Geh niemals auf ein Schiff?«
»Ja! Geh niemals auf ein Schiff!«
Nach einer Weile kommt der Kellner mit meinen Süßspeisen, aber ohne das Wasser. Das Känguru legt seinen Kopf auf den Tisch.
»Ich sterbe jetzt«, sagt es.
»Willst du ein Stück von dem frittierten Schokoriegel?«, frage ich.
»Ich box dich gleich in den Bauch.«
»Dieser Double-Cheese-Chili-Burger mit Bacon, Spiegelei und extra Zwiebeln, den du vor der Abfahrt gegessen hast …«, sage ich. »Ich glaube, auf den hättest du verzichten sollen.«
Das Känguru boxt mich in den Bauch. In dem Moment hebt eine große Welle das Schiff an. Mein Magen besucht mein Zwerchfell, und ich blicke mich panisch nach einer Kotztüte oder etwas Ähnlichem um. Ich finde etwas Ähnliches. Fassungslos starrt mich das Känguru an.
»Untersteh dich!«, ruft es.
»Die Welt ohne Eigenschaften war eigentlich eher Eigenschaften ohne Welt.«
Aus Die Welt ohne Eigenschaften
von Max Mustermann
Als wir das Schiff verlassen, legt sich das Känguru auf den Boden und weint hemmungslos vor Glück.
»Ich habe so Hunger!«, stöhnt es nach einer Weile. »Ich habe seit fünf Wochen, vier Tagen, dreiundzwanzig Stunden und neunundfünfzig Minuten gefastet.«
»Ja, ja«, sage ich.
»Wo sind wir?«
»Auf einer Insel.«
»Was für eine Insel?«
»Patmos.«
»Wo ist das?«
»Ägäis.«
»Aha.«
Wir gehen ein Stück die Hafenstraße hinunter.
»Ich habe solchen Hunger!«, sagt das Känguru wieder.
»Wenn wir da vorne um die Ecke biegen, kommt ein Fast-Food-Laden«, sage ich.
»Woher weißt du das?«
»Da ist immer ein Fast-Food-Laden«, sage ich.
»Wie?«
»Da ist der Starbucks«, sage ich, »da der
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