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Die Känguru-Offenbarung (German Edition)

Die Känguru-Offenbarung (German Edition)

Titel: Die Känguru-Offenbarung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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sagt der O.B.
    »Ich wusste es«, sagt das Känguru. »Ich bin auserwählt.«
    »Siehst du mich noch?«, frage ich. »Oder siehst du nur noch an dir vorbeirasende grüne Matrixkaskaden?«
    »Jedenfalls hat dich deine Mama nicht verkauft«, sagt der O.B. »Wahrscheinlich war das Gebot zu niedrig. Ende der Geschichte.« Der O.B. steckt sich einen Ho-Chi-Mint in den Mund. »Einer meiner Leute hat den Pinguin übrigens letztens in Hanoi gesehen, wo er angeblich eine Fabrik leiten soll. Mehr weiß ich nicht.«
    »Ich bin auserwählt …«, murmelt das Känguru.
    Aus der Ferne vernehme ich leise Musik, die schnell lauter wird.
    »Ist das Wagner?«, frage ich. »Der Walkürenritt?«
    Jetzt können wir auch erkennen, wo der Lärm herkommt. Ein Hubschrauber fliegt direkt auf uns zu. Der Oberbefehlshaber rennt und holt die Bazooka.
    »Nein, nein«, ruft Pierre. »Das ist nur meine Mitfahrgelegenheit.«
    »Was?«, brülle ich gegen den Lärm an.
    Der Hubschrauber landet direkt vor unseren Füßen. Am Steuer sitzt Manfred.
    »Wir haben Pierre einen Ortungschip ins Ohr gesetzt, weil er so oft verlorengeht«, brüllt er zur Erklärung, nachdem er seinen Bandkollegen zu sich in die Kabine gezogen hat.
    »Hat einer von euch vielleicht Feuer?«, fragt Pierre zum Abschied.
    Bald darauf schweben die beiden schon wieder in der Luft.
    Kurz winkt das Känguru dem Hubschrauber hinterher, dann hält es inne.
    »Alter Reflex«, sagt es. »Schwer abzustellen.«

»Wir werden nicht schweigend in der Nacht untergehen. Wir werden nicht ohne zu kämpfen vergehen.
Wir werden überleben. Wir werden weiterleben.
Heute feiern wir gemeinsam unseren
Independence Day!«
    H o Chi Minh
    Wir werden von zwei Wachmännern recht unsanft aus Ho-Chi-Minhs Mausoleum hinausbefördert.
    »Wenn du dich nicht benehmen kannst«, sage ich, »dann gehe ich nicht mehr mit dir tote Kommunisten ankucken.«
    »Der Mann liegt hier gegen seinen erklärten Willen«, sagt das Känguru. »Er hat sein ganzes Land vom Kolonialismus-Imperialismus befreit. Der Versuch, ihn zu befreien, war meine Pflicht!«
    Das Känguru schluchzt.
    »Warum musste er so jung von uns gehen …«
    »Der Mann ist neunundsiebzig Jahre alt geworden«, sage ich. »Reiß dich mal zusammen.«
    Das Känguru schnäuzt in ein Taschentuch.
    »Auch Onkel Ho war lange Jahre im Untergrund«, sagt es. »Man schätzt, dass er über fünfzig falsche Identitäten benutzt hat. Ach. Es ist solch eine Last, auserwählt zu sein.«
    »Ja, ja«, sage ich. »Und was machen wir jetzt? Laufen wir weiter planlos durch Hanoi auf der Suche nach dem Pinguin?«
    »Genau das werden wir tun«, sagt das Känguru, und wir stellen uns vor einen Zebrastreifen, um die Straße zu überqueren.
    »Ein Zebrastreifen» sage ich nach einer Weile, »ist hier offensichtlich kein Zebrastreifen, sondern nur ein Vorschlag, wo man die Straße überqueren könnte, falls gerade nichts kommt.«
    »Es hat sich alles so verändert hier«, sagt das Känguru. »Hanoi ist eine Art riesiger Bienenstock geworden, mit Schwärmen von Mopeds statt Bienen. Wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich verstehe«, sage ich. »Du sprichst ja immer so schön in Bildern, damit es auch die Dummen verstehen.«
    »Das mache ich wegen dir«, sagt es.
    »Das heißt ›deinetwegen‹«, sage ich.
    Wir gehen weiter, bis wir eine Ampel finden.
    »Und eine rote Ampel«, sage ich nach einer Weile, »bedeutet, man kann anhalten, wenn man denn will. Aber es wollen wohl nicht alle.«
    Genervt hüpft das Känguru dem nächsten dreirädrigen Lastenmoped einfach auf die Ladefläche und springt dann von Ladefläche zu Ladefläche, bis es sich etwa in der Mitte der mehrspurigen Straße umdreht und mir zuruft: »Na, komm schon! Hüpf!«
    Todesmutig steige ich in den unablässigen Strom der Lastenmopeds. Zwei Schritte vor, einen zurück. Warten. Drei Schritte vor, zwei zurück.
    Ich werde leicht gestreift. Ein Schritt vor. Eine Drehung. Ich werde gerammt. Das schmerzt leicht am Schienbein. Das Moped ist total verbogen. Drei schnelle Schritte. Ein Hechtsprung ans andere Ufer. Das Känguru fängt mich auf.
    »Und meine Mutter hat immer behauptet, stundenlang Jump-and-run-Spiele zu daddeln würde mich im Leben nicht weiterbringen«, sage ich, von den Abgasen keu-
chend.
    Auch das Känguru muss husten.
    »Hanoi hat echt ein kleines Umweltproblem«, sage ich und male mit dem Zeigefinger Figuren in den Smog.
    Das Känguru will weiterhüpfen.
    »Ich habe eine CO2-Überdosis«, sage ich.

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