Die Kaffeemeisterin
komisches, romantisches Mädchen war sie doch! Ob sie in der Bücherkiste nach Liebesromanen gesucht hatte?
»Lass mich lieber für dich singen, Gabriel! Wie du weißt, soll ich eine sehr schöne Stimme haben.«
Zum ersten Mal wirkte sie leicht kokett auf ihn. Aber auch mit dieser Koketterie stimmte etwas nicht. Ihre steife, uncharmante Art hatte fast etwas von einer Behinderung an sich, sie konnte sich nicht darüber hinwegsetzen.
Ihre Lippen hatten sich zu einem kleinen Lächeln verzogen, und zwei Grübchen waren rechts und links neben ihren Mundwinkeln erschienen. Sie stellte sich an genau die Stelle, an der er gewöhnlich stand, wenn er unter der Brücke spielte, an den Punkt, an dem die Decke am höchsten war. Ihr warmer Alt hob an, Au clair de la lune, mon ami Pierrot zu singen. Ein Kinderlied. Einfach, aber höchst eindrucksvoll.
Als sie merkte, dass er ihr zuhörte, sang sie Hevenu Shalom Aleichem mit der gleichen ergreifenden Schlichtheit. Schließlich sagte sie:
»Jetzt ist es genug. Wir gehen nun besser, meine Mutter wartet sicher schon.«
»Ja, lass uns gehen«, sagte Gabriel. Und leise fügte er hinzu: »Schön hast du gesungen, sehr schön.«
26. KAPITEL
E s war schon spät, als das Mainzer Marktschiff endlich in Frankfurt anlegte. Über dem Gutleuthof ging gerade die Sonne unter. Die meisten Leute, die sich tagsüber am Hafen herumtrieben – Arbeiter, Fischverkäufer, Reisende, flanierende Bürger mit ihren Kindern, Fuhrleute, die ihre Ackergäule durch die quirlige Menge trieben –, waren bereits nach Hause gegangen. Auch der Lastkran hatte seine Tätigkeit längst eingestellt. Ein Fass hing auf halber Höhe und schwankte im Wind hin und her. Nur ein paar Fischer, die üblichen Bettler und eine kleine Gruppe Männer mit Leiterwagen befanden sich noch am Kai. Zum Glück wartete auch ein Ochsenkarren, als hätte jemand geahnt, dass sie mit diesem Schiff kommen würde. Ein semmelblonder Jüngling, fast noch ein Knabe, und ein älterer Mann, wahrscheinlich sein Vater, lehnten an dem Wagen und kauten gelangweilt auf Strohhalmen herum.
Johanna beugte sich über die Reling und machte den Besitzern des Ochsenkarrens wild gestikulierend Zeichen. Sie breitete die Arme aus, um die Größe ihrer Gepäckstücke anzudeuten, und streckte beide Hände mit weit gespreizten Fingern nach oben, gefolgt von einem einzelnen Daumen. Sie hoffte, die Fuhrmänner hatten begriffen, dass sie damit die Anzahl ihrer Gepäckstücke beziffern wollte. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie sich von einem der anderen Reisenden anheuern ließen, während sie noch mit der Zollabfertigung beschäftigt war! Wahrscheinlich würde sie die Nacht auf ihren Truhen schlafend am Hafen verbringen müssen, immer auf der Hut vor irgendwelchen Herumlungerern, die sie ihr unter dem Hintern wegstehlen würden. Und das unmittelbar vor ihrer Haustür!
Sie musterte die beiden Zöllner misstrauisch, die vom Fahrtor herübergeschlendert kamen. Es war kurz vor Torschluss, und sie traute diesen Herren ohne Weiteres zu, die Zollabfertigung so lange hinzuziehen, dass sie noch ein saftiges Sperrgeld würde zah len müssen. Bestimmt hatte schon bei Karl dem Großen einer von ihrer Sorte am anderen Ufer gestanden und abkassiert, mutmaßte sie – als der Frankenkönig auf der Jagd durch die Furt im Main geritten war, die dann später zu Frankfurt wurde.
Doch die beiden Zöllner waren erstaunlich milde gestimmt und wollten nur in die ersten drei Kisten einen Blick werfen, bevor sie ihr die nötigen Papiere ausstellten und ihr alles Gute für ihr Kaffeehaus wünschten. Dabei war sicher hilfreich gewesen, dass sie jedem von ihnen ein paar Geldstücke in die Hand gedrückt hatte.
»Sie wissen, wer ich bin?«, fragte sie überrascht.
»Natürlich«, sagte der kleinere der beiden Männer freundlich. »Ihnen gehört doch die Coffeemühle . Gut, dass Sie wieder da sind! Ihr Kaffee war immer der beste hier in der Stadt. Eine Schande, dass die Ihnen damals den Laden zugemacht haben!«
Er schüttelte den Kopf, als wüsste er bestens Bescheid über die Umstände der Schließung ihres Geschäfts.
»Aber jetzt sind Sie ja wieder hier!«, ergänzte sein Kollege gut gelaunt. »Wir zählen auf Sie, dass es bald wieder ordentlichen Kaffee in dieser Stadt zu trinken gibt.«
Die beiden Männer tippten sich grüßend an ihre Dreispitze und widmeten sich dann den wartenden anderen Fahrgästen auf dem Mainschiff.
Johanna streckte ihren Rücken durch und
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