Die Kaffeemeisterin
gebliebene Mobiliar stand sorgsam aufeinandergestapelt in einer Ecke des Raums. Der Boden war gefegt und gewischt worden, die zerbrochenen Fensterscheiben von innen vernagelt. Sogar ein paar Holzscheite lagen in dem Korb neben dem Herd, auf dem ihre älteste Messingkaffeekanne stand. Sie war ein wenig verbeult, schien aber intakt. Auch der Wassertopf daneben wirkte voll einsatzfähig.
Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit durchströmte Johanna. Hatte sie eben noch Zweifel verspürt, jemals wieder einen Neuanfang wagen zu können, weil ihr einfach die Kraft dazu fehlte, gab ihr der Anblick der aufgeräumten Gaststube nun wieder Zuversicht. Wer immer hier für Ordnung gesorgt hatte, sie würde es ihm oder ihr gar nicht genug danken können. Sicher ahnte ihr Helfer nicht, welch großen Gefallen er ihr damit getan hatte. Ob die Halderslebens dahintersteckten? Oder Elisabeth?
Plötzlich spürte sie ein unbändiges Verlangen nach einer Tasse Kaffee in sich aufsteigen. Ja, das wäre es jetzt! Ein besseres Willkommensgetränk als ein Kaffee war kaum vorstellbar. Einmal mehr in der Coffeemühle . Aber sie hatte weder Kaffeebohnen im Haus noch die Möglichkeit, ein Feuer anzuzünden. Und sie brauchte jetzt auch ein wenig Gesellschaft, gestand sie sich ein. Ganz davon abgesehen, dass sie sich nach Neuigkeiten über den Verbleib der beiden Mädchen sehnte. Es war zwar schon spät, aber im Laden von Ludwig Haldersleben hatte noch Licht gebrannt. Er würde bestimmt nichts dagegen haben, wenn sie bei ihm anklopfte. Und vielleicht hatte er ja sogar eine Tasse Kaffee für sie übrig.
Schnell griff sie nach ihrem Umschlagtuch, verriegelte die Türen hinter sich und trat hinaus auf die Gasse. Der Laden des Kartenmachers war noch immer erleuchtet, allerdings konnte sie seine Umrisse hinter der Scheibe nicht mehr sehen. Genauso wenig wie die der zweiten Person, die vorhin neben ihm gesessen hatte.
Sie betätigte den Türklopfer. Nichts regte sich. Wo Haldersleben wohl steckte? Er war doch sicher nicht schon ins Bett gegangen, ohne das Licht im Laden zu löschen … Sie klopfte noch einmal. Endlich hörte sie Schritte hinter der Tür.
»Wer ist da?«, fragte die Stimme des Kartenmachers misstrauisch.
»Ich bin es, Johanna«, erwiderte sie halb bange, halb voller Wiedersehensfreude.
»Johanna!«
Der Kartenmacher sah ganz anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Zum ersten Mal sah sie ihn ohne Uniform. Und ohne Perücke. Zu ihrem Erstaunen waren seine Haare gar nicht grau, sondern dunkelbraun und ein wenig zerzaust. Auch seine Gesichtsfarbe hatte einen neuen rosigen Ton. Überraschung zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Und Verlegenheit.
»Komme ich ungelegen?«, fragte Johanna sofort.
»Nein, nein, natürlich nicht!«, beeilte sich der Kartenmacher zu entgegnen. »Wie schön, dass Sie wieder da sind! Aber … aber wir haben ehrlich gesagt noch nicht mit Ihnen gerechnet.«
Er hatte die Tür nur halb geöffnet, sodass sie nicht in den Raum hineinschauen konnte. Ludwig Haldersleben schien unschlüssig, was er als Nächstes tun sollte.
»Ich wollte sagen, dass ich wieder da bin«, sagte Johanna zögerlich. »Und fragen, ob … ob ich …«
Sie hatte auf einmal das Gefühl, dass es besser war, wenn sie sich nicht auf einen Kaffee bei dem Kartenmacher einlud. Aber vielleicht konnte er ihr wenigstens einen brennenden Span, ein paar Kaffeebohnen und etwas frisches Wasser geben, sodass sie sich selbst eine Kanne brauen konnte.
»Hanne, bist du das?«, hörte sie plötzlich eine helle Stimme aus dem Hintergrund des Ladens rufen.
Ludwig Haldersleben öffnete die Tür ein Stückchen weiter, und Johanna sah Elisabeth mit weit ausgebreiteten Armen auf sich zustürzen. Die Freundin sah fantastisch aus mit ihrem weiten bunten Kleid und den offenen blonden Haaren.
»Meine Hanne, endlich bist du wieder da!«, rief Elisabeth freudestrahlend und drückte sie an ihren Busen. »Wir haben dich so vermisst!«
Es dauerte eine Weile, bis Johanna sich aus der Umarmung der Freundin befreien konnte. Verwirrt starrte sie von Elisabeth, auf deren flächigen Wangen sich kreisrunde rote Flecken gebildet hatten, zu Ludwig Haldersleben. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine Lippen.
Was tat Elisabeth so spät am Abend bei dem Kartenmacher, noch dazu in diesem unschicklichen Aufzug? Der Laden war doch längst zu! Außerdem konnte sie sich nicht daran erinnern, dass sie sich jemals für Landkarten und dergleichen interessiert hatte. Und wo war Cornelia
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