Die Kaffeemeisterin
erwiderte.
Himmelherrgott, war dieses Mädchen denn zu gar keiner Regung fähig? Gabriel wurde zunehmend von Wut auf seine Begleiterin erfüllt. Und mit dieser Frau sollte er unter den Traubaldachin treten? Wie stellte sich seine Mutter das bloß vor? Bestimmt gab es jede Menge Männer, die sich glücklich schätzen würden, neben einer so schönen Frau wie Rachel einfach nur herlaufen zu dürfen. Den beiden Handwerksburschen mit dem Leiterwagen, die eben an ihnen vorbeigefahren waren, hatte man den Neid richtig ansehen können. Und die Lüsternheit, so keusch Rachel sich auch geben mochte. Doch dass andere Männer ihn anscheinend für einen Glückspilz hielten, machte die Sache wahrlich nicht besser. Andere würden sich ja auch nicht daran stören, wenn ihre Frau keinen Ton herausbrachte – im Gegenteil, sie würden es wahrscheinlich sogar begrüßen. Er hatte nicht wenige Bekannte, die wer weiß was dafür gäben, wenn die werte Gattin nicht ständig belangloses Zeug von sich geben, sondern einfach den Mund halten würde.
Sein Griff um Rachels Oberarm war fester geworden. Fast zog er sie jetzt hinter sich her durch die Menschenmenge, bis sie endlich das Haus Zur güldenen Crone und den dahinterliegenden Schuppen erreichten. Beim Kaffeestand hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet.
Endlich war niemand mehr vor ihnen. Die alte Sara schenkte Gabriel ein zahnloses Lächeln und füllte ungefragt zwei Becher mit der dampfenden, heißen Flüssigkeit aus dem großen Kessel vor ihr. Als er den einen Becher wortlos an Rachel weiterreichte, berührten sich ihre Fingerspitzen. Schon in der Wohnung, als sie noch auf dem Sofa neben ihrer Mutter gesessen hatte, war ihm aufgefallen, dass sie schöne Hände hatte. Schmal, aber doch kräftig. So als könnte sie gut zupacken.
Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher. Ein genießerisches Seufzen entfuhr ihm, als er die heiße Flüssigkeit durch seine Kehle rinnen ließ. Wie immer, wenn er Kaffee trank, musste er an Johanna Berger denken. Doch er verdrängte den Gedanken sogleich wieder. Nicht jetzt, das war jetzt wirklich nicht der richtige Moment, um an seine verflossene Liebe zu denken. Die im Grunde ja gar keine gewesen war. Jedenfalls keine richtige. Weil sie nicht hatte sein dürfen.
E r zwang sich, den Blick zu heben und seine zukünftige Frau anzuschauen. Über den Rand ihres Bechers schien Rachel ihm zuzulächeln. Er konnte ihren Mund nicht sehen, doch um ihre braunen Augen hatten sich kleine Fältchen gebildet. Aber als sie den leer getrunkenen Becher wieder absetzte und der alten Sara zurückgab, zeigten ihre Lippen den gleichen verschlossenen Ausdruck wie zuvor.
Er reichte der Kaffeeköchin ebenfalls seinen Becher und nahm den Geigenkasten auf, den er zwischen seinen Beinen abgestellt hatte.
»Kommen Sie«, sagte er tonlos zu Rachel, »wir gehen an den Fluss. Dort sind wir ungestört.«
Zu spät fiel ihm ein, dass er unweigerlich wieder an Johanna würde denken müssen, wenn sie erst einmal an seinem Lieblingsplatz unter der Brücke wären. Nach wie vor war das der Ort, wo er am häufigsten übte. Nur im Winter spielte er zu Hause in der engen Kammer, weil ihm im Freien die Finger zu steif wurden. Obwohl es unter dem schlecht abgedichteten Dach auch kaum wärmer war, zumal in der Kammer kein Ofen stand. Er würde Rachel zwei, drei Corelli-Sonaten vorspielen und dann vielleicht noch einen Satz aus einem Vivaldi-Violinkonzert, überlegte er. Das sollte genügen. Danach würden sie schweigend wieder nach Hause zu ihren Müttern gehen, sich förmlich die Hand zum Abschied reichen, und bei ihrem nächsten Wiedersehen wären sie schon verlobt. Dann würde einige Wochen später ein weiteres Treffen erfolgen, vielleicht würde man ja sogar etwas Zeit miteinander oben in seiner Kammer verbringen, damit man sich ein wenig näherkam. Sein geschätzter ehemaliger Lehrer Sa muel Miltenberg hatte ihm irgendwann einmal erzählt, dass manche Eltern ihren Söhnen und Töchtern diese letzten Minuten der Zweisamkeit vor der Eheschließung gewährten, damit sichergestellt war, dass man sich auch körperlich halbwegs verstand – ohne dass es dabei zum Äußersten kam natürlich. Und anschließend wäre nur noch die Hochzeit hinter sich zu bringen. Was dann folgte, wären zwanzig, dreißig, vierzig gemeinsame Jahre, in denen ein paar Kinder auf die Welt kommen und sich vielleicht so etwas wie gegenseitiger Respekt und Zuneigung einstellen würden. Mit viel Glück sogar
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