Die Kaffeemeisterin
hob das Kinn. Geschafft, die erste Hürde war geschafft!, seufzte sie erleichtert. Noch dazu erinnerte man sich an sie. Und hatte ihren Kaffee vermisst. Wenn das kein echtes Willkommenszeichen war! Sie atmete tief durch: Ja, sie war wieder da! Obwohl sie, seit sie in Mainz das Marktschiff bestiegen hatte, zunehmend nervös geworden war und zuletzt gar nicht mehr hatte still sitzen können, fühlte sie sich auf einmal ganz ruhig. Endlich würde sie erfahren, wie es Lili und Margarethe ergangen war. Die Ungewissheit würde ein Ende haben, ihre Albträume aufhören. Und sie konnte wieder anpacken! Schon die ganze Zeit hatte sie vermeint, ein Kribbeln in den Fingerspitzen zu spüren, als könnten ihre Hände die Tatenlosigkeit nicht länger ertragen.
Sie ließ ihre Augen über die prachtvollen Bauten entlang der Uferpromenade schweifen. Frankfurt – dies war doch ihr wahres Zuhause, bei aller Liebe zu Venedig, Konstantinopel oder auch Neapel. Wie schön, nach so langer Zeit den vertrauten, leicht vernuschelten Singsang der Frankfurter wieder zu hören! Sie warf einen Blick auf das gegenüberliegende Sachsenhäuser Ufer, das von den letzten Strahlen der untergehenden Abendsonne in einen rötlichen Schimmer getaucht war. Zumindest von »hüb de Bach« aus gesehen schien dort alles beim Alten geblieben zu sein. Wie lange war sie jetzt fort gewesen? Fast ein Jahr, wenn sie richtig gerechnet hatte. Eine kleine Ewigkeit, schien es ihr.
Obwohl sie sich geschworen hatte, nie mehr einen Fuß auf ein Schiff zu setzen, hatte sie sich in Basel dann doch für den Wasserweg entschieden. Auf der Landstraße war das Risiko größer, Wegelagerern in die Hände zu fallen, als auf dem Wasser – wenn man die Zollstationen, die ihr einen Gulden nach dem anderen abgeknöpft hatten, nicht mit einrechnete. Die Erfahrung mit dem falschen Grafen und Gül saß ihr noch tief in den Knochen. Aufgeregt hatte Xavier ihr kurz vor ihrer Abreise noch berichtet, dass es sich bei dem windigen Ungarn, seiner maladen Tochter und dem granteligen Wiener um eine berüchtigte Gaunerbande handele, die durch die Welt reise, um blitzschnell zuzuschlagen, sobald sich die Gelegenheit dazu biete. Ganz Neapel wisse inzwischen Bescheid über den versuchten Truhendiebstahl in seinem Hotel! Xavier hatte fast ein wenig beleidigt geklungen, dass er als ehemaliger Pirat solchen Halunken auf den Leim gegangen war, und immer wieder beteuert, nicht das Geringste von dem üblen Komplott geahnt zu haben. »Deine Sklavin muss sehr unzufrieden gewesen sein, dass sie sich dieser Bande so schnell angeschlossen hat«, hatte er noch hinzugefügt. Johanna wollte gar nicht mehr an diese Geschichte denken. Für den Wasserweg hatte sie sich auch deshalb entschieden, weil ihr der Transport der schweren Möbelstücke auf Maultieren über den Simplon ein für alle Male gereicht hatte. Was für eine Strapaze! Dass weder sie noch die Truhen zerschmettert am Fuße einer tiefen Schlucht lagen, schien ihr das reinste Wunder zu sein. Welch ein Glück, dass sie das alles hinter sich hatte!
Johanna riss sich von dem Anblick der glutrot angeleuchteten Häuserfassaden los und griff nach ihrer Reisetasche, in der sie einige Kleider für unterwegs und ein paar kleinere Mitbringsel verstaut hatte. Rasch eilte sie den schmalen Holzsteg zum Ufer hinunter. Am Kai blieb sie kurz stehen und atmete noch einmal tief durch. Frankfurter Luft – ja, sie war angekommen!
Als sie den vornehmen älteren Herrn, der mit ihr auf dem Marktschiff gewesen war und von dem sie wusste, dass auch er viel Gepäck bei sich hatte, auf den Mann mit dem Ochsenkarren zutreten sah, raffte sie ihre Röcke und eilte an ihm vorbei.
»Sie wissen wohl gar nicht, was Anstand ist!«, hörte sie den Mann schimpfen, als sie sich an ihm vorbeidrängelte.
Doch das war ihr gleichgültig, sollte er über sie denken, was er wollte. Sie hatte ihr Ziel fast erreicht, jetzt würde sie sich nicht mehr aufhalten lassen. Und wenn sich ihr der Kaiser persönlich in den Weg stellen sollte!
Endlich hatten der Fuhrmann und sein Sohn alle elf Truhen aufgeladen, und der Ochsenkarren rumpelte über den Römerberg. Ungeduldig lief sie neben dem Karren her und unterstützte die Ochsen, indem sie neben dem Jüngling hinten mit anschob, wann immer es bergauf ging.
»Wo soll das Zeugs denn hin?«
Der Besitzer des Ochsenkarrens drehte sich zu ihr um, als sie am Alten Markt angekommen waren.
Johanna blieb schwer atmend stehen. Sie wischte sich mit dem
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