Die Kaffeemeisterin
Ärmel ihres Reisekleides den Schweiß von der Stirn und schaute die Fassade ihres Hauses hinauf. Was für ein trostloser Anblick! Die Fensterläden der Coffeemühle waren zugeklappt, sofern sie nicht aus den Angeln hingen. Nirgendwo brannte ein Licht. Ein Haufen Schutt lag neben der Eingangstür. Einzelne Grashalme ragten zwischen den Bruchstücken hervor. Es war sofort ersichtlich, dass das Haus schon länger nicht bewohnt war. Neben den schmucken Fachwerkbauten rechts und links der Gasse machte es einen regelrecht verwahrlosten Eindruck. »Ein Schandfleck«, hörte sie die Nachbarn im Geiste schimpfen.
Sie musste den Blick abwenden. Die Erinnerung an jenen unseligen Tag vor einem Jahr, als ihre ganzen Hoffnungen mit einem Schlag zunichtegemacht worden waren, stand ihr plötzlich so lebhaft vor Augen, als hätte der Überfall von Gottfried und seinen Kumpanen gerade erst stattgefunden. Sie vernahm ihr Kampfgebrüll, das Bersten von Holz, das Klirren von Geschirr. Und sie spürte ihre eigene Ohnmacht wieder, ihren Hass auf den Mann, der all ihren Besitz zerstört hatte. Und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte auch ein Menschenleben auf dem Gewissen gehabt, dachte sie. Nein, sie durfte jetzt nicht an Gabriel denken! Sonst würde alles nur noch viel schlimmer werden.
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und sah die Gasse hinunter in Richtung Römer. Mittlerweile war die Dämmerung hereingebrochen, sodass man kaum mehr die Hand vor Augen erkennen konnte. Die Nachbarn schienen alle ausgeflogen zu sein. Nur im Laden des Kartenmachers brannte Licht. Schemenhaft erkannte sie Ludwig Halderslebens gebeugten Kopf. Wahrscheinlich studierte er gerade eine seiner geliebten Landkarten. Neben ihm saß noch jemand, den sie nicht ausmachen konnte.
Sie nahm sich vor, sobald ihre Truhen verstaut waren, bei ihm anzuklopfen. Sie freute sich schon darauf, dem Kartenmacher von den verschiedenen Stationen ihrer Reise zu erzählen. Er würde ihr mit Sicherheit eine Menge Fragen stellen, die sie nicht angemessen würde beantworten können, aber weder er noch sie würden sich weiter daran stören. Er wusste, dass ihre Allgemein bildung, vor allem in Sachen Geografie, nicht die allerbeste war und dass es mit ihm auf diesem Gebiet ohnehin kaum jemand aufnehmen konnte. Und trotzdem schätzte er sie und ihren gesunden Menschenverstand, das hatte er ihr mehr als einmal gesagt.
»Was ist denn nun?«, fragte der Fuhrmann ungeduldig. »Wo soll ich den Kram abladen?«
Unschlüssig schaute sie dem Mann ins Gesicht. Er hatte den gleichen übergroßen Adamsapfel wie sein Sohn. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie einer der beiden Ochsen seinen Schwanz hob und neben dem Schutthaufen einen riesigen braunen Flatschen fallen ließ. Im letzten Moment sprang sie zur Seite, um nicht von den Spritzern getroffen zu werden.
»Ich weiß es nicht«, gestand sie mutlos.
Alle Tatkraft war plötzlich von ihr gewichen. Auf einmal fürchtete sie sich vor dem, was sie erwartete, wenn sie die Eingangstür der Coffeemühle aufschloss. Drinnen sah es bestimmt noch viel furchtbarer aus als draußen.
»Haben Sie keinen Hof?«, raunzte der Mann sie an.
Er spuckte zwischen den Zähnen aus. Der Auswurf landete direkt neben dem Ochsenflatschen.
»Doch, das ist eine gute Idee«, würgte Johanna hervor.
Sie schloss das Manntor auf und betrat den Hof. Mühsam schob sie den eingerosteten Riegel des Hoftors zur Seite, öffnete die beiden Flügel weit und bedeutete dem Mann, in den Hof hi neinzufahren. Es sah längst nicht so schlimm aus, wie sie befürch tet hatte: Irgendjemand hatte die Trümmer beseitigt und sogar die Pflanzen in den Kübeln gegossen.
Mit geübten flinken Bewegungen luden der Fuhrmann und sein Sohn die elf Truhen von dem Ochsenkarren und stapelten sie unter dem Vordach des großen Schuppens. Johanna gab ihnen ein ordentliches Trinkgeld und verriegelte das Tor hinter dem davonrumpelnden Wagen.
Endlich war sie allein. Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange vor. Beklommenheit ergriff sie, als sie nach einem kurzen Augenblick der Besinnung vorsichtig die Küchentür öffnete, die leise in den Angeln quietschte. Ein Geruch nach Staub und Moder stieg ihr in die Nase, kaum hatte sie den Gastraum betreten. Sie hatte noch das Bild der völligen Verwüstung vor Augen, das sich am Tag ihrer Abreise nach Venedig in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.
Aber auch hier hatte jemand während ihrer Abwesenheit für Ordnung gesorgt. Das wenige heil
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