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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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gegen die Aufregung mitgegeben hatte. Wie gern hätte er sich jetzt eine davon in den Mund gesteckt! Bestimmt hätte das bittersüße Aroma auch den stechenden Schmerz in seinem Kopf vertrieben, der sich nun plötzlich wieder heftig bemerkbar machte. Aber das war natürlich vollkommen ausgeschlossen, er konnte jetzt unmöglich auf einer Kaffeebohne herumkauen, schlimm genug, dass er hier beim Kinjan zu versagen drohte.
    Schnell griff er in die andere Westentasche. Zu seiner Erleichterung befand sich ein zusammengefaltetes Blatt darin. Zwar kein Taschentuch, aber immerhin ein persönlicher Gegenstand, der nicht ganz so verfänglich wie die Kaffeebohnen war. Es musste sich um ein Notenpapier handeln, etwas anderes trug er nicht mit sich herum. Er faltete das Blatt auseinander: ausgerechnet die Szene, in der Gott Abraham auf die Probe stellte und von ihm verlangte, seinen Sohn Isaak zu opfern!
    Schlomo Rapp schmunzelte.
    »Nun, Gabriel?«
    »Das ist ein Ausschnitt aus meiner neuesten Komposition. Ein Stück von mir, wenn Sie so wollen«, sagte Gabriel lächelnd und hielt das Blatt in die Höhe.
    »Also gut, das wird gehen«, entgegnete der Rabbiner amüsiert. »Lassen Sie uns fortfahren: Wenn der Vater der Braut fertig ist mit dem Verlesen des Vertrages, die Brautleute und beide Väter unterschrieben haben, wird der Kinjan vollzogen. Danach dürfen die beiden Mütter den Teller zerbrechen. Meine Damen, Sie haben Porzellan und Hämmerchen dabei?«
    Gabriel drehte sich um. Seine Mutter hielt ein kleines flaches Paket auf dem Schoß, dessen runde, in ein Stück Leinen gewickelte Form den obligatorischen Teller darunter verriet. Brunhilde Lazarus schwenkte stolz einen großen Vorschlaghammer über dem Kopf, als wollte sie ihre praktische Ader demonstrieren. Oder jemanden erschlagen, dachte Gabriel zerstreut. Jakob, der neben seiner Mutter saß, verrenkte schon wieder so seltsam die Schulter wie auf dem Weg in die Synagoge. Warum zappelte der Junge immer so?, fragte er sich. Ob er vielleicht Flöhe hatte?
    »Ich darf jetzt Herrn Lazarus bitten, aufzustehen und den Schtar Tna’im zu verlesen.«
    Der frischgebackene Hoffaktor erhob sich grinsend von seinem Platz. Er flüsterte dem Rabbiner etwas ins Ohr, der ihm daraufhin die Worte leise vorsprach.
    »… eine Hausgemeinschaft gründen, die die jüdischen Gebote und Rituale respektiert … einander zu ehren und zu lieben, in guten wie in schlechten Zeiten … fruchtbar zu sein und sich zu mehren …«, rauschte es an Gabriel vorbei.
    Gleich würde er seine Unterschrift unter das Papier setzen, Rachels Taschentuch in Empfang nehmen, ihr seine Noten überreichen, einen Kuss auf ihre Lippen drücken – und vorbei wäre es mit seiner Freiheit!
    »… sollen sie gemeinsam über ihren Besitz wachen, in Ruhe und Frieden, so wie es die Kinder der Thora und alle Gottesgläubigen tun. Dieser Vertrag wird geschlossen aus freien Stücken und in gründlicher Kenntnis beider Parteien, und alles ist rechtens und wird hiermit bestätigt …«
    Joel Lazarus sah stolz und glücklich aus, als er das Dokument nun wieder dem Rabbi überreichte. Dieser schlug es auf der letzten Seite mit dem vorgesehenen Platz für die Signaturen auf und legte es mit der Schrift zu den Brautleuten hin an die Schreibtischkante.
    »Darf ich jetzt Rachel Lazarus und Gabriel Stern sowie die beiden Väter zum Unterzeichnen bitten?«
    Leichtfüßig trat Rachel vor, griff nach der Feder in der Schale zu ihrer Rechten, tauchte sie in das Tintenfass daneben und setzte in schwungvollen hebräischen Buchstaben ihre Unterschrift auf das Papier.
    Gabriels Stuhl kratzte über den Boden, als er sich schwerfällig erhob. Er hatte das Gefühl, Blei in den Knochen zu haben. »Tu es nicht!«, schrie eine Stimme in seinem Kopf. Er sah Johanna am Fluss vor sich, in einem weißen Kleid, ihre roten Haare flatterten im Wind, sie lachte ihn an, öffnete die Arme … Ein Windhauch fuhr ihr unter den Rock, entblößte ihre Beine über den Wollstrümpfen, von denen einer bis auf den Knöchel heruntergerollt war … Sie lachte und lachte, und auch er lachte nun, riss sie an sich, wirbelte mit ihr im Kreis herum, bis sie beide so schwindelig waren, dass sie taumelten und auf die sattgrüne Wiese fielen, wo sie liegen blieben und sich leidenschaftlich zu küssen begannen … Er zwang sich mit seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Warum nur hatte Johanna ihn nicht aufgesucht, als sie nach Frankfurt heimgekehrt war? Warum war sie

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