Die Kaffeemeisterin
hinausging? Noch war der Vertrag nicht rechtsgültig, hatte der Rabbi gesagt. Noch hatte er die Möglichkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
»Tu es sofort!«, schaltete sich die Stimme in seinem Kopf wieder ein. Sie klang wie Johannas Stimme, warm und melodisch. »Schnell!«, sagte sie. »Denk nicht mehr darüber nach – handle!«
Ohne zu zögern erhob sich Gabriel von seinem Platz und ging schnurstracks zur Tür.
»Gabriel!«, hörte er die Stimme seines Vaters in seinem Rücken sagen. »Wo willst du denn hin?«
»Gabriel, ist dir nicht gut?«, rief seine Mutter.
Das Letzte, was er hörte, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, war das weit entfernte Klirren eines Tellers, der zu Bruch ging. Kaum hatte er die Synagoge verlassen und war auf die Gasse hinausgetreten, kam auch schon eine der beiden christlichen Hockinnen auf ihn zugestürmt, die über einem offenen Feuer kleine Vögel brieten.
»Herzlichen Glückwunsch! So, wie Sie strahlen, haben Sie wohl das ganz große Los gezogen!«
Gabriel drehte ihr den Rücken zu. Gebratene Amseln waren jetzt wirklich das Letzte, wonach ihm der Sinn stand.
»Ganz zart!«, versuchte die Frau noch einmal ihre Waren an den Mann zu bringen.
Die Sonne stand senkrecht im Süden und warf einen schmalen hellen Korridor auf die Stufen der Synagoge. Gabriel kniff die Augen zusammen und atmete tief durch. Seine Kopfschmerzen waren wie weggeblasen. Er hatte es geschafft, er war noch einmal davongekommen! Auch wenn er die Frau, die er liebte, nicht heiraten konnte, so war er doch wenigstens nicht an eine andere gebunden. Er würde jetzt nicht daran denken, was er all diesen Menschen dort in der Synagoge angetan hatte. Jehuda hatte recht: Dies war sein Leben! Und nur er würde in Zukunft darüber bestimmen.
33. KAPITEL
U nd da rutschte der Stein von selbst wieder an seine alte Stelle und verschloss die Höhle«, las Justus von Zimmer von dem Blatt auf seinen Knien vor.
Es herrschte gespannte Stille, wie es mit dem in der Höhle gefangenen Aladin weitergehen würde. Doch der Neffe des Schultheißen rollte die Blätter zusammen und stupste sich mit der Rolle die Fezquaste aus dem Gesicht. Mit einem breiten Grinsen stellte er die Kerze zur Seite und erhob sich von dem kleinen Bänkchen. Wäre das Zeltdach noch ein Stückchen niedriger gewesen, hätte er nicht mehr aufrecht darin stehen können. Er verbeugte sich übertrieben tief nach allen Seiten, als hätte er sein bisheriges Leben in einer Schaustellerfamilie verbracht. Als das Publikum merkte, dass die Darbietung für diesen Tag beendet war, brach tosender Applaus aus.
Das große Zelt, in dem die Gäste nun wie die Beduinen auf weichen Teppichen hockten, im Hof der Coffeemühle aufzubauen, war gar nicht so einfach gewesen. Zum Glück hatten sich zwischen den unebenen Pflastersteinen immer wieder Stellen gefunden, in denen sich die Heringe verankern ließen. Einen der Steine hatten sie allerdings ausgraben müssen, um den großen Mast zu befestigen, an dem nun ein bunter Wimpel flatterte. Das Zelt war sechseckig und aus gelber und blauer Leinwand, mit einem offenen Eingang und einem sieben Ellen langen Vordach, das ebenso wie das Zeltdach von mehreren rot-blau-geringelten Stangen getragen wurde. Justus hatte als Kind mit diesem nachgemachten Ritterzelt gespielt, nachdem seine Großmutter es ausrangiert hatte, weil sie für ihre Gartenfeste ein größeres Zelt angeschafft hatte. Mehrere flache Tischchen – eigentlich große Messingtabletts, die zur Erhöhung auf Holzscheite aufgebockt waren – dienten dazu, die Mokkatassen und Gebäcktellerchen zu tragen. Über dem Eingang baumelten orientalische Messinglampen, deren blaue, grüne und gelbe Glasfenster ein wunderbar warmes Licht warfen. Das schienen auch die Mücken zu finden, die begeistert um die Lampen herumtanzten.
Margarethe war diejenige gewesen, die Johanna auf die Idee gebracht hatte, endlich Zehras Truhen auszupacken. Und dann hatte eines das andere ergeben. Erst hatte sie nur im ganz kleinen Kreis ein paar ihrer Reiseabenteuer zum Besten gegeben. Justus hatte das zum Anlass genommen, aus seiner Übersetzung von Tausendundeine Nacht vorzulesen. Inzwischen hatte sich schon eine ganze Gruppe interessierter Zuhörer versammelt. Jeden Tag wurden es mehr Leute. Kurz hatte Johanna sogar überlegt, ihr Kaffeehaus umzubenennen, ihm einen türkischen Namen zu geben, der mehr orientalisches Flair besaß. Galata hatte ihr am besten gefallen. Aber dann hatte
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