Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
Existenz war dieses Kaisertum noch nicht fertig. Die Sieger probierten aus, wie sie ihre gesteigerte Königsherrschaft benennen und in die Welt einfügen sollten. Reiz und Kraft des Neuen bewahrten sich lange, bis der höhere Rang zur Normalität geworden war. Dann wich die Herausforderung der Selbstgewissheit. Am Anfang standen dagegen das Experiment und die Mehrdeutigkeit in Formen wie Wörtern. Karls Weihnachtstag 800 steht darum am Anfang dieses Kapitels. Ein Rückblick auf Voraussetzungen und Verlaufsformen bietet Hinleitungen.
Am Anfang standen zwei Emanzipationswege des 8. Jahrhunderts. Langsam lösten sich die Päpste aus dem oströmischen Verband und wandten sich zur Sicherung ihres Herrschaftsgebiets im mittleren Italien den Franken als neue Schutzmacht zu. Letztmals datierte Papst Hadrian I. seine Urkunden 781 nach den Regierungsjahren byzantinischer Kaiser. Im Frankenreich stiegen damals die Karolinger zur Herrschaft auf. Pippin ließ den letzten König aus dem merowingischen Königsgeschlecht absetzen und übernahm 751 das Königtum. Wie zuvor wurde das Frankenreich bei seinem Tod 768 unter den regierungsfähigen Söhnen Karl und Karlmann aufgeteilt. Als Karlmann starb, übernahm Karl 771 die alleinige Herrschaft.
Der dynastische Bruch von 751 erforderte neue Legitimationsstrategien zur Konsenserlangung in der fränkischen Adelsgesellschaft. Die spätere karolingische Erinnerung erzählte dazu die Geschichte vom Befehl des Papstes Zacharias (741–752) an die Franken, die machtlosen Merowinger zu verlassen und dem mächtigen Karolinger den königlichen Namen zu geben. Nur so würde die Ordnung nicht gestört. Die Idee, dass Herrschaft den richtigen Namen
(nomen)
tragen müsse, machte später auch die Kaiserkrönung nötig. Sie steigerte eine hegemoniale Königsherrschaft mit dem neuen Namen des Kaisers. Die Reichsannalen fügten zum päpstlichen Befehl und zur fränkischen Königswahl noch die Salbung Pippins mit geweihtem Öl hinzu. Sie verschaffte dem neuen König eine besondere Nähe zu Gott. 754, so erinnerte man sich, habe Papst Stephan die Salbung an Pippin und seinen beiden Söhnen Karl und Karlmann wiederholt unddamit der neuen Herrscherfamilie besondere Rechtmäßigkeit verliehen. Gekommen war der Papst, um Hilfe gegen die Langobarden zu erbitten, die sein Herrschaftsgebiet hart bedrängten. Beschlossen wurde ein folgenreiches Bündnis, das die Franken fortan zu treuen Helfern der Nachfolger des Apostels Petrus machte.
Doch das Gedächtnis schwankte. Die erste Reise eines Papstes ins Land nördlich der Alpen sowie die Formen der Begegnung zwischen Papst und Frankenkönig in Ponthion wie in Saint-Denis wurden in verschiedenen Texten unterschiedlich erinnert. Die fränkischen Reichsannalen machten den Papst zum Bittsteller, deutlicher noch die Metzer Annalen: «Als Pippin davon hörte, befahl er erfreut seinem erstgeborenen Sohn Karl, ihm entgegen zu reisen und ihn ehrenvoll zu sich in die Pfalz von Ponthion zu führen. Dort wurde der Papst vom König Pippin ehrenvoll empfangen. Viele Geschenke spendete er dem König und auch seinen Großen. Am folgenden Tage warf er sich zusammen mit seinem Gefolge in Sack und Asche auf die Erde und beschwor den König Pippin bei der Gnade des allmächtigen Gottes und der Macht der seligen Apostel Petrus und Paulus, dass er ihn selbst und das römische Volk aus der Hand der Langobarden und aus der Knechtschaft des anmaßenden Königs Aistulf befreie. Und nicht eher wollte er sich von der Erde erheben, als bis ihm König Pippin mit seinen Söhnen und den Großen der Franken die Hand reichte und ihn selbst zum Zeichen des künftigen Bündnisses und der Befreiung von der Erde aufhob.»
Die Erinnerung im Papstbuch
(Liber pontificalis)
kannte zwar auch Stephans flehentliche Bitte, ordnete aber Pippin und Karl im Zeremoniell eindeutig unter. Sie eilten dem Papst entgegen, und Pippin führte wie ein Knecht das päpstliche Pferd umher: «Als aber Pippin die Ankunft des heiligen Vaters vernahm, zog er ihm eilig entgegen mit seiner Gemahlin, seinen Kindern und den Großen des Reichs. Seinen Sohn Karl schickte er mit vielen vornehmen Männern vierzig Meilen zu seinem Empfang voraus. Er selbst ging ihm von seiner Pfalz Ponthion aus beinahe eine Stunde weit zu Fuß entgegen und schritt eineStrecke Weges als sein Marschall neben dem Pferd des Papstes einher.»
Solche Symbolakte schufen in einer weitgehend auf Mündlichkeit und Herrendienst gegründeten Welt
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