Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
kaiserlichen Amts vom Vater auf den Sohn. Vielleicht ahmte man die byzantinische Nachfolge ohne liturgische Verbrämung nach?
Bald darauf starb Karl der Große und wurde in der Aachener Pfalzkirche beigesetzt. Die von Einhart überlieferte Grabschrift vereinte das Kaisertum mit dem Frankenreich: «In diesem Grab ruht Karl, der große und rechtgläubige Kaiser, der das Reich der Franken ruhmvoll vergrößerte und siebenundvierzig Jahre lang erfolgreich regiert hat. Er starb als Siebziger, in der siebten Indiktion, am 28. Januar im Jahr des Herrn 814.»
Unter Ludwig dem Frommen fand ein Elitenaustausch am Hof statt. Mit den Menschen veränderten sich Gedanken und Formen. Die größten Herausforderungen für Reich und Kaisertum resultierten aber daraus, dass der Kaiser in zwei Ehen vier Söhne zeugte; drei überlebten ihn. Schon 817 hatte er die komplizierte Nachfolge geregelt. Aber die Ausstattung des später geborenen vierten Sohns sprengte die wohldurchdachte Ordnung und führte die karolingische Herrscherfamilie wiederholt an den Rand der Katastrophe. Bei Ludwigs Tod hatten sich Reich und Kaisertum gründlich verändert. Das gleichmäßige fränkische Teilungsprinzip bei der Neugestaltung des Reichs behauptete sich. Dagegen wurde das unteilbare Kaisertum als überwölbende Klammer auf die bloße Herrschaft in einem Teilreich unter anderen zurückgestutzt. Hinzu kamen der radikale Zerfall monarchischer Autorität und der Bedeutungsgewinn adliger wie geistlicher Teilhabe am Reich. Deutlicher als zuvor konnte es nur noch im Konsens der Könige mit ihren Getreuen regiert werden.
Am Anfang stand die Klärung der Bezüge von Kaiser- und Papsttum. Als Leo III. 816 starb, erhoben die Römer Stephan IV.(816–817) zum Papst. Ihn nötigte der Respekt vor dem Kaiser zu einer raschen Reise über die Alpen ins fränkische Kernland. Im Oktober 816 trafen Kaiser Ludwig und Kaiserin Irmingard in Reims auf den neuen Papst. Der Ort war sorgfältig gewählt, da Bischof Remigius von Reims einst dem ersten christlichen Frankenkönig Chlodwig († 511), Ludwigs Namensvetter, die Taufe gespendet hatte. Die fränkischen Quellen betonen die große Eilfertigkeit des Papstes wie die hohe Ehrerbietung, mit welcher der Kaiser seinem Gast entgegen zog.
Von der ersten Begegnung erzählte Thegan: «Nach den Sendboten ging Ludwig selbst dem Papst entgegen. Als sie sich in der großen Ebene bei Reims trafen, stiegen sie beide vom Pferd. Der Kaiser warf sich dreimal mit ganzem Körper zu den Füßen des höchsten Bischofs nieder und begrüßte, nachdem er sich das dritte Mal erhoben hatte, den Papst mit diesen Worten: ‹Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der Herr ist Gott, der uns erleuchtet› [Ps. 118, 26, 27]. Und der Papst antwortete: ‹Gelobt sei unser Herr Gott, der meinen Augen gab zu sehen einen zweiten König David› [angelehnt an den Lobgesang des Simeon]. Sie umarmten sich dann und küssten sich in Frieden, dann gingen sie zur Kirche. Und als sie lange gebetet hatten, erhob sich der Papst und spendete samt seiner Geistlichkeit mit lauter Stimme die ihm als König zukommenden Lobsprüche.» Es folgten mehrtägige Unterredungen und gegenseitige Einladungen, bei denen man sich durch Geschenke aufs Höchste ehrte. Am nächsten Sonntag spendete der Papst Ludwig in der Kathedrale die Kaisersalbung und -krönung: «Und am nächsten Sonntag in der Kirche vor der Messe weihte er ihn vor der Geistlichkeit und allem Volke und salbte ihn zum Kaiser; und eine goldene Krone von wunderbarer Schönheit mit den wertvollsten Edelsteinen geschmückt, die er mitgebracht hatte, setzte er ihm auf. Und die Königin Irmingard begrüßte er als Kaiserin und setzte ihr eine goldene Krone aufs Haupt.»
Diese zweite Kaiserkrönung Ludwigs gab dem Papst seine Autorität beim kaiserlichen Erhebungsakt zurück – wenn schon nicht am römischen Apostelgrab, dann wenigstens im fränkischen Reims. Im Wissen um spätere Unterwerfungen sah manden Reimser Akt von 816 früher gerne als unnötiges Einlenken eines frömmelnden Schwächlings, dem der kraftvolle Vater in der Aachener Kaiseridee eigentlich die Chancen karolingischer Unabhängigkeit bereitet hatte. Dieser Vorwurf verfehlt jedoch die Vorstellungswelt jener Zeit, die Herrschaft aus sakral-liturgischer Legitimation dachte.
817 schloss der Kaiser ein Bündnis mit dem nächsten Papst Paschalis I. (817–824). Es knüpfte an frühere fränkisch-päpstliche Verabredungen an und garantierte der
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