Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian
lautete jedoch, die Ermordung des Flavius Sabinus und die Einäscherung des Kapitols ließen keine Verhandlungen mehr
zu. Dann rückte Primus mit drei Heerhaufen in die Stadt ein. Der Widerstand der Vitellianer war schnell gebrochen; nur um
das Prätorianerlager auf dem Viminal wurde erbittert gekämpft. In Blut- und Habgier machten sich die Soldaten über die Stadt
her, die binnen kurzem ein bejammernswertes Bild bot: Haufen von Leichen, geplünderte Häuser. Die niedrigsten Instinkte wurden
auch bei der Bevölkerung wachgerufen: Freunde verrieten sich gegenseitig, vor allem aber wüteten die Sklaven gegen ihre Herren
(Tac. hist. 4, 1).
Vitellius wurde im Kaiserpalast – alle hatten ihn verlassen – entdeckt und mußte mit rückwärts gefesselten Händen, einen Strick
um den Hals, seinen Leidensweg antreten. Man zerrte den von seinen Lastern (Freß- und Trinksucht) gezeichneten Mann übers
Forum, zwang ihn hinzusehen, wie seine Statuen umgestürzt wurden, verhöhnte und mißhandelte ihn. Schließlich warf man ihn
zu Boden, und jeder kühlte seinen Mut an ihm. Er war 57 Jahre alt, als |79| er auf diese schmachvolle Weise sein Leben verlor. Sein Leichnam wurde in den Tiber geworfen (Suet. Vit. 17 – 18). Auch sein Bruder Lucius wurde, als er mit den sechs ihm anvertrauten Prätorianerkohorten von Tarracina nach Rom zurückkehrte,
ermordet.
Sozusagen aus dem Untergrund trat jetzt Domitian, der 18jährige Sohn Vespasians, hervor. Er war bei seinem Onkel Flavius Sabinus
auf dem Kapitol gewesen und hatte bei dessen Gefangennahme fliehen können. Nun kam er aus der Gegend jenseits Tibers, wo er
sich verborgen hatte, in die Stadt und schickte sich an, als Stellvertreter seines Vaters zu fungieren, als Domitianus Caesar.
Ihm erwuchs aber sofort ein Konkurrent in Licinius Mucianus, der am 21. Dezember 69 (Jos. bell. Iud. 4, 11, 4) mit den syrischen
Truppen in Rom einrückte und de facto die Regierung übernahm.
Der Senat beeilte sich, für Vespasian die kaiserlichen Gewalten zu beschließen, die den Prinzipat ausmachten; den Augustus-Titel
hatte Vespasian schon selbst angenommen. Die
lex de imperio Vespasiani
erhielt jedoch gegenüber den früheren Gesetzen dieser Art einen bedeutsamen Zusatz: Vespasian hatte in einer Botschaft an
den Senat (vgl. Tac. hist. 4, 3, 4) darauf hingewiesen, daß bereits seit dem 1. Juli 69 von ihm, auf seinen Befehl oder in
seinem Auftrag Amtshandlungen stattgefunden hätten, die nachträglich durch Volksgesetz für rechtens erklärt werden müßten.
Der Senat fügte also eine entsprechende, die sog. transitorische Klausel dem Wortlaut der
lex
hinzu. Dieser ist wenigstens zum Teil auf einer Bronzetafel erhalten, die in den Kapitolinischen Museen Roms aufbewahrt wird
(Corp. Inscr. Lat. VI 930). Sie gibt Kunde von den Einzelbefugnissen, welche die Kaiser neben dem
imperium proconsulare
und der
tribunicia potestas
besaßen (Recht zum Bündnisabschluß, Rechte in bezug auf die Senatssitzungen, Empfehlungsrecht für Wahlkandidaten). Sie enthielt
aber auch eine Klausel, die den Kaiser allgemein ermächtigte, in die bestehenden Verhältnisse „zum Nutzen des Staates“ einzugreifen
(sog. diskretionäre Klausel). Aufschlußreich für die Stellung des Kaisers zu den Gesetzen ist seine ausdrückliche Befreiung
von bestimmten
leges
und
plebiscita
(nicht von allen). Während diese Klauseln bis auf Augustus zurückreichen, ist die über das Recht zur Erweiterung des Pomeriums
erst unter Claudius in das Gesetz aufgenommen worden. Vespasian machte gerade von ihr schon bald Gebrauch (unten S. 90).
Die Senatssitzung, in der das Bestallungsgesetz Vespasians beschlossen wurde (22. 12. 69?), war mehr als der Beginn eines neuen Prinzipats, sie begründete in ostentativer Weise eine neue |80| Dynastie: Vespasian und sein Sohn Titus wurden zu Konsuln für das Jahr 70 bestimmt, Domitian, der jüngere Sohn, zum Prätor.
Münzen stellten die neue Dynastie allen Reichsbewohnern vor Augen: Die Vorderseite dieses Typs zeigte den Kopf Vespasians
mit dem Lorbeerkranz, auf der Rückseite sah man die einander zugewandten Köpfe der beiden Söhne Titus und Domitian. Die Legenden
verbanden den Augustus mit den beiden Caesares (Rom. Imp. Coin. II 15, Nr. 2).
|81| 4. DIE STABILISIERUNG DES REICHES UNTER DER FLAVISCHEN DYNASTIE
(69 – 96 n. Chr.)
Das Jahr 69 hatte nicht nur das Kaisertum einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt, es hatte auch das Reich
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