Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian
ins Wanken gebracht
(vgl. Tac. hist. 3, 49, 1). Man denke bloß an die riesigen Truppenbewegungen und die nicht allein in den Schlachten verübten
Kriegsgreuel! Rom selbst war von der Soldateska heimgesucht worden! Da nimmt es nicht wunder, auch von Grenzbedrohungen und
Aufständen zu hören. So überschritten die Daker nach dem Abzug der mösischen Legionen die Donau und gingen gegen die schwach
besetzten Truppenlager vor. Mucianus kam auf seinem Marsch von Syrien nach Italien gerade rechtzeitig, um größeres Unheil
in Mösien zu verhüten. Er schlug die Daker über die Donau zurück und setzte bei seinem Weitermarsch Fonteius Agrippa als Statthalter
der Provinz ein. Dieser aber fiel bei einem Einbruch der Sarmaten. Erst sein Nachfolger Rubrius Gallus konnte mit einer aus
den Legionen des Vitellius zusammengestellten Streitmacht die Lage in Mösien bereinigen (Tac. hist. 3, 46, 2 – 3; Jos. bell. Iud. 7, 4, 3).
Schlimmer als an der Donau war die Lage am Rhein. Hier hatte Vitellius bei seinem Abzug nach Italien (Anfang April 69) Hordeonius
Flaccus, den Konsularlegaten des obergermanischen Heeres (oben S. 70), auch mit dem Kommando über das niedergermanische Heer
betraut. Dieser Mann war jedoch den Entscheidungen, die ihm seine Stellung abverlangte, nicht gewachsen. Das zeigte sich schon
im September 69, als er die acht aus Italien in Mogontiacum/Mainz angelangten Bataverkohorten, denen Vitellius Order zur Rückkehr
hatte zukommen lassen, an den Niederrhein durchmarschieren, ihnen dann aber in Bonn die dort stationierte Legion entgegentreten
ließ, die eine empfindliche Niederlage erlitt. Die Bataverkohorten vereinigten sich in ihrer Heimat mit den Streitkräften,
die der Stammesfürst Iulius Civilis zum Kampf gegen die Römer zusammengebracht hatte. Ein Brief des Antonius Primus (oben
S. 76) gab ihm die Möglichkeit, sich als Flavianer auszugeben und seine Truppen auf Vespasian zu vereidigen. Mit ihnen griff
er |82| die beiden Legionen in Vetera Castra/Xanten an, die vitelliustreu blieben – Hordeonius Flaccus war ein zweites Mal gefordert.
Seine diesmalige Entscheidung brachte ihm den Tod. Er marschierte zum Entsatz nach Xanten. Auf die Nachricht von dem Sieg
der Flavianer in der Schlacht bei Cremona ließ er seine Truppen den Eid auf Vespasian schwören. Der Entsatz von Xanten glückte,
aber auf dem Rückmarsch kam es an der Jahreswende 69 / 70 in Novaesium/Neuss zur Katastrophe: Hordeonius Flaccus ließ das noch von Vitellius gesandte Donativ auszahlen – im Namen
Vespasians! Die alte Anhänglichkeit der Soldaten an Vittelius brach sich Bahn: Hordeonius Flaccus wurde ermordet.
Vom Jahresbeginn 70 an überstürzten sich die Ereignisse im gallisch-germanischen Raum. Rechtsrheinische Germanen griffen Mogontiacum
an, Vetera Castra wurde erneut von Civilis belagert, die Treverer und Lingonen verschworen sich gegen Vespasian, die übrigen
gallischen Stämme schwankten in ihrer Haltung, die römischen Legionen unterstellten sich dem Legionslegaten C. Dillius Vocula,
den sie später ermordeten. Die Entwicklung kulminierte in dem Eid auf die prätendierte Souveränität der gallischen Provinzen
( imperium Galliarum
), den der Trever Iulius Classicus, ein Auxiliaroffizier, als Führer des gallischen Aufstands alle römischen Truppen schwören
ließ. Auch die Besatzung von Vetera Castra wurde zu diesem Eid gezwungen und dann großenteils niedergemacht. Classicus und
Civilis beherrschten die Szene, wobei letzterer mehr und mehr sein ‘flavianisches’ Gesicht verlor.
Wie ernst die Situation am Rhein war, zeigten die Gegenmaßnahmen, die Mucianus Anfang 70 in Rom traf: 5 Legionen wurden von
Italien aus in Marsch gesetzt, 2 aus Spanien und eine aus Britannien herbeigerufen (Tac. hist. 4, 68, 4). Das Kommando über
sie erhielten Ap. Annius Gallus (Germania superior) und Q. Petillius Cerialis (Germania inferior). Mucian und Domitian begaben
sich selbst nach Lugdunum/Lyon und stellten hier das römische Prestige wieder her. Cerialis, der Hauptakteur auf römischer
Seite, brauchte einige Zeit mit seinen Operationen, bis er Ende September 70 (Tac. hist. 5, 23, 3) zum entscheidenden Schlag
gegen Civilis im Batavergebiet ausholen konnte. Civilis unterwarf sich und erreichte für seinen Stamm die Fortdauer des alten
Vertragsverhältnisses mit den Römern, die nun ihre Herrschaft über Gallien und Germanien bis zum Rhein sozusagen neu antraten.
Die
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