Die kalte Koenigin
Futtertrog ihrer großen Mutter.
Bevor er den Deckel schloss, stand Nezahual über mir auf dem Rande des Sarges und blickte auf mich herab. »Wenn du ausgelöscht wirst, Mischling, denke an diejenigen, die du retten solltest. Denke an die Kinder in deinem Heimatland. Denke an deine Freundinnen und Freunde. Denke sogar an Pythia. Wenn Ixtar zu dir kommt, wenn ihr Hunger groß ist, erinnere dich an Pythias Gesicht. Ihr werde ich diese Sünde möglicherweise vergeben, doch bei dir, dem ich vertraute, kann ich keine Gnade walten lassen.«
Ich lag dort viele Nächte. In dieser Zeit versuchte ich meine Krallen in den Stein zu schlagen, der mich umgab, wodurch ich mir die Fingernägel abfeilte. Meine Versuche, den schweren Deckel des Sarges zurückzuschieben, brachten mir blutende Wunden bei.
Ich dachte an meine Kinder, die mich nicht kannten. Und an Ewen. Ich betete, er möge nicht so sehr gefoltert worden sein, dass er zu einem jener Sklavenvampyre der Myrrydanai geworden war.
Außerdem versuchte ich Merod in Visionen zu finden. Doch es gelang mir nicht einmal, eine zu erleben. Keine Stimme sprach in diesem Sarg zu mir. Die Lügen, die mir Pythia erzählt hatte, gingen mir durch den Sinn. Diese Kreatur Artephius sollte mein Vater sein? Meine Mutter sollte die Beine
gespreizt haben, damit ein fleischloses Wesen seinen Samen in sie pflanzen konnte? Dies alles waren Lügen, da war ich mir sicher. Pythia hatte mich mit ihrer Zauberkraft verführt, so wie sie es schon das erste Mal getan hatte, als wir uns begegnet waren.
Es war ihre Absicht gewesen, mich zu vernichten, und indem sie mich dazu gebracht hatte, mein Fleisch mit dem ihren zu vereinigen, hatte sie sich dessen versichert.
War es zu spät? Ich hatte den Überblick über die Nächte verloren. Meine Lippen waren trocken und taub, da ich mich selbst gebissen hatte, um mich zumindest von meinem eigenen Blut emähren zu können. Ich erinnerte mich an die Vampyre, die ich in der Kammer der Auslöschung in Hedammu gesehen hatte, vor so langer Zeit. Ich erinnerte mich daran, dass sie nicht imstande gewesen waren, Blut zu trinken. Daran, dass sie einfach nur dagelegen hatten und nach vielen Jahren zerfallen waren.
Ich hatte das Gefühl, dies würde mein Schicksal sein.
Es würde keine Zeremonien geben. Enora würde sich erheben und gemeinsam mit Artephius Medhya leibhaftig herbringen, die den Schleier durchqueren und ihn zerstören mochte. Damit würde sie Kräfte auf die Welt loslassen, die weitaus größer waren als die Plagen, die bereits über die Welt gekommen waren.
Calyx, betete ich, als ob sie mich hören könnte. Vergib mir. Meine Kinder, vergebt eurem Vater. Ewen, vergib mir. Ich bin gescheitert. Ich bin mit allem gescheitert. Merod, sprich zu mir. Komm zu mir. Zeige mir, wie ich dies hier überwinden kann. War Ewen bereits zu einem Mom geworden? War Kiya eine geistlose Sklavin der Myrrydanai?
Wartete Calyx an den Akkaditenklippen auf mich? Hatten die Chymers sie zur Strecke gebracht, oder hatten die Moms sie zu einer Gefangenen des Alchemisten gemacht?
Bist du wirklich mein Vater? Ich stellte mir jenen Mann aus Silber und Bronze vor. Sind dies Lügen? Alles, was ich über meinen Vater wusste, waren Gerüchte. Alles, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass er ein Fremder gewesen war, den mein Großvater verachtet hatte.
All diese Gedanken rumorten in mir und quälten mich.
In meinem Blut rief ich nach Merod Al-Kamr. Du bist in meinem Inneren. Dein Blut fließt zusammen mit dem meinen. Sprich nun zu mir. Rette deinen Maz-Sherah. Zeige dich mir.
Nach einer Weile begann ich die Große Schlange zu verfluchen. Begann, das Volk der Vampyre zu verfluchen. Medhya, Ixtar, Nezahual und Pythia zu verfluchen. Jeden Dämon unseres Stammes.
Aber ich erinnerte mich an Ewens Gesicht, an den Knaben, mit dem ich gemeinsam aufgewachsen war, den Jüngling, den ich als meinen Gefährten hatte auferstehen lassen. Ich vermochte es nicht, auch ihn zu verfluchen, und ebenso wenig konnte ich Kiya oder Midias verfluchen.
Aus einem bestimmten Grund bin ich der Maz-Sherah. Pythia weiß nicht alles. Merod Al-Kamr weiß nicht alles. Selbst Artephius kann das, was in mir ist, nicht beherrschen.
In meinem Geist sah ich die Große Schlange, die sich am Weltenrand wand, wo der Schleier ein Nebel über dem Wasser war. Kein Wort wurde gesprochen, die Schlange blickte mich auch nicht an.
Aber es reichte aus, um mir eine sonderbare Hoffnung zu schenken.
Nicht alles war
Weitere Kostenlose Bücher