Die kalte Legende
von seinen Qualen. Dann bewaffneten sich die Plünderer mit den Stahlbeinen des Tisches und den Holzbeinen der Stühle und stiegen die Steintreppe hoch. Almagul ging voraus und öffnete vorsichtig die Stahltür des Biowaffenlabors. Dann trat sie beiseite, um die anderen durchzulassen. Zwei russische Wissenschaftler, die auf Pritschen schliefen, wurden erdrosselt. Drei Kollegen von ihnen arbeiteten in einem Kühlraum mit gefrorenen Milzbrandsporen. Martin schob eines der stählernen Tischbeine durch die Türgriffe und drehte dann den Thermostat hoch. Als die drei Männer merkten, dass sie eingeschlossen waren, hämmerten sie verzweifelt gegen die dicke Glasscheibe in der Tür. Einer der befreiten Gefangenen entdeckte in einem Schrank einen Plastikkanister mit Kerosin für einen Brenner. Er kippte das Kerosin über die Regale mit Petrischalen und über die Aktenschränke. Almagul entzündete ein Streichholz und warf es in das Kerosin. Ein bläuliches Feuer züngelte über den Boden, und im Nu stand das Labor in helllichten Flammen.
In einem Vorraum, wo in alten Schirmständern Säbel steckten, überraschten die flüchtenden Plünderer zwei Wachmänner, die gerade Backgammon spielten. Beide Wachen stürzten zu ihren Gewehren, wurden aber erschlagen, bevor sie sie erreichen konnten. Martin und Almagul nahmen die Gewehre, stopften sich die Taschen mit Patronen voll und eilten, gefolgt von den jetzt mit Säbeln bewaffneten Plünderern, eine Hintertreppe hinauf, die in die Eingangshalle führte. Der einzige Wachposten dort wich zurück an eine Wand und ergab sich mit erhobenen Händen, als er die Plünderer sah. Einer von ihnen ging schnurstracks auf ihn zu und spaltete ihm mit einem einzigen Säbelhieb den Schädel. Auf ein Zeichen von Martin hin verteilten sich die Männer und stürmten durch mehrere Flügeltüren in den Theatersaal. Der Kampf war kurz und tödlich. Martin pochte der eigene Herzschlag in den Ohren, und sein Finger am Abzug zitterte, als er drauflosschoss, ohne sich groß Zeit zum Zielen zu nehmen. Er gab den Gefangenen von hinten Feuerschutz, als sie säbelschwingend und wild brüllend die Bühne angriffen. Der Warlord, der auf seinem Thron Hof gehalten hatte, ging hinter dem Sessel in Deckung, während seine völlig überrumpelten Leute verzweifelt Widerstand leisteten. Zwei der Gefangenen wurden niedergestreckt, bevor sie die Bühne erreichten, einen dritten, der schon fast oben war, traf eine Kugel ins Gesicht. Als Martins Repetiergewehr eine Ladehemmung hatte, dröhnte ihm Lincolns Stimme durch den Kopf: Menschenskind, pack es am Lauf und benutz es als Keule. Beide Hände am Lauf, stürzte Martin sich in das Gefecht auf der Bühne und schlug wie wild auf die Gegner ein, die mit Gewehren oder Armen die Schläge abzuwehren versuchten. Als einer von ihnen stolperte, hechtete Martin auf ihn drauf und drückte ihn auf den Boden, bis ein Gefangener dem Mann die Hand abhackte, mit der er das Gewehr hielt. Keuchend stand Martin auf, und sogleich stellte ein anderer Gefangener einen Fuß auf das Gesäß des am Boden Liegenden und schlitzte ihm vom Hals bis zum Steißbein den Rücken auf, sodass seine Wirbelsäule frei lag. Allmählich gewannen die Gefangenen, die nichts zu verlieren und ihr Leben zu gewinnen hatten, mit ihrer Wildheit die Oberhand. Die blutüberströmten Verwundeten der gegnerischen Seite und die drei, die sich ergeben hatten, wurden in den Orchestergraben geschleift und mit dem Säbel enthauptet. Ein kopfloser Mann machte noch ein paar Schritte, ehe er zu Boden fiel. Martin war schon flau im Magen, und nun sah er, wie die Plünderer den Thron umkreisten, fast so, als spielten sie ein harmloses Kinderspiel. Hamlet hatte sich das Stück Bühnenvorhang, das als Teppich diente, über den Kopf gezogen. Die Plünderer rissen es ihm aus den Händen und trieben den Warlord mit leichten Säbelstößen auf die Beine. Hamlet wischte sich Rotz von der Nase und flehte um Gnade, während seine Peiniger ihm Hose, Stiefel, Handschuhe und Motorradbrille auszogen und ihn durch den Saal und die Eingangshalle hinaus auf die Straße stießen.
Vorsichtig tastete sich Hamlet barfuß durch die Gosse, während er ununterbrochen in der seltsamen Sprache der Plünderer plapperte, von denen keiner ihm die geringste Beachtung schenkte. Die Sonne schob sich gerade über den Horizont, als die Gruppe auf demselben Weg die Stadt verließ, auf dem Martin nach Kantubek gekommen war. Sie kamen an dem Hangar vorbei, der von
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