Die kalte Legende
Daoud gebracht. Der Mann leitet ein fundamentalistisches Trainingscamp, das sich Boa Vista nennt. Daoud heißt mit richtigem Namen Chalil al-Dschabarin und ist kein unbeschriebenes Blatt. Al-Dschabarin wurde als geistiger Führer der Muslimischen Bruderschaft angeklagt und hat eine lange Haftstrafe in einem Kairoer Militärgefängnis abgesessen. Davon hat er physische und psychische Narben zurückbehalten. Zu den bevorzugten Foltermethoden ägyptischer Gefängniswärter gehören angeblich Stromstöße in die Hoden. Aber eines steht fest: Daoud ist ein kaltblütiger Killer. Erst letzten Monat hat er in São Paulo ein Krokodil in einen Swimmingpool schaffen und dann einen Mann hineinwerfen lassen, einen angeblichen Informanten der Polizei. Am Beckenrand standen ein paar Prostituierte aus der Stadt, in der Hand Pappteller mit leckeren Häppchen, und haben zugesehen. Es wurde Geld verteilt und der Mord vertuscht. Wir wissen, dass die Geschichte nicht erfunden ist, weil eine der Prostituierten nebenbei auch für uns arbeitet. Der tote Informant war unser wichtigster Mann im Dreiländereck.«
»Dann ist das FBI also dort praktisch blind geworden?«, fragte Lincoln.
»Sozusagen.«
»Ihr wichtigster Mann dort, der dicht an Daoud rangekommen ist – hatte der keinen Ersatz?«
»Das haben wir nicht mehr rechtzeitig hingekriegt«, gab Kiick zu.
»Womit muss ich im Dreiländereck noch rechnen außer mit gefräßigen Krokodilen?«
Kiick – Lincoln kannte ihn flüchtig von einigen Koordinationssitzungen anlässlich der seltenen Gemeinschaftsoperationen von CIA und FBI – schob eine Briefing-Akte über den Konferenztisch. »Alles, was wir in Erfahrung gebracht haben, steht hier drin«, sagte er. »Sie werden es wahrscheinlich mit einem Texaner zu tun kriegen, der sich Leroy Streeter nennt. Er ist ein Crossover, wie wir sagen – in seinem Fall ein rassistisch-nationalistischer Spinner, der mit den muslimischen Fundamentalisten gemeinsame Sache macht. Wohlgemerkt, die Mischung kann tödlich sein. Wenn die muslimischen Terroristen Anschläge in den USA verüben, könnten die Rechtsextremen sie unterstützen, indem sie ihnen die Infrastruktur und vielleicht sogar Killer liefern, weil ein Amerikaner leichter in öffentliche Gebäude kommt als ein Araber aus dem Nahen Osten. Könnte übrigens gut sein, dass der Name Leroy Streeter echt ist. Der Typ ist einsachtundfünzig groß, wiegt sechzig Kilo, spricht mit einem ausgeprägten Texanerakzent und reist mit einem Pass, der auf Leroy Streeter jr. ausgestellt ist. Leroy Streeter sen. war der Kopf einer in Texas angesiedelten rechtsextremen Splittergruppe namens Nationalist Congress. Er ist in Huntsville an Krebs gestorben. Da hat er wegen eines Brandanschlags auf die Schwarzenkirche in Birmingham eingesessen. Das amerikanische Konsulat in Mexico City hat vor vier Jahren einem Leroy Streeter jr. einen Pass ausgestellt, aber der argentinische Geheimdienst SIDE glaubt, dass er vor zwei Jahren an einem Strand in Rio ertrunken ist. Soweit wir wissen, wurde der Leichnam nie gefunden. Was bedeutet, dass Leroy Streeter jr. entweder von den Toten auferstanden ist oder irgendjemand seinen Pass benutzt. Wie auch immer, er steht ganz oben auf der FBI-Suchliste.«
»Lassen Sie sich nicht ablenken«, sagte Crystal Quest zu Lincoln.
»Leroy Streeter ist nicht das Ziel dieser Operation. Wir sind hinter dem Saudi her.«
»Hat der Saudi auch einen Namen?«, fragte Lincoln.
»Jeder hat einen Namen«, zischte Quest. »Das FBI kennt ihn bloß nicht.«
»Nach dem, was unser Informant uns vor seinem viel zu frühen Ableben sagen konnte«, fuhr Kiick fort, ohne sich durch Quests Seitenhieb aus dem Konzept bringen zu lassen, »handelt es sich bei dem Saudi um die zentrale Figur einer fundamentalistischen Gruppe, die erst kürzlich auf unserem Radarschirm aufgetaucht ist. Sie operiert von Afghanistan aus, seit die Russen vor zwei Jahren aus dem Land vertrieben wurden, und nennt sich Al-Kaida, was Die Basis bedeutet. Der Saudi organisiert offenbar Al-Kaida-Zellen in Europa und Asien und leitet sie von der sudanesischen Hauptstadt Khartum aus.«
»Wie komme ich an den Saudi ran?«
»Mit etwas Glück kommt er an Sie ran«, sagte Quest. »Er will Sprengstoff kaufen, in großen Mengen, eine ganze Lkw-Ladung laut den Gerüchten, die der FBI-Informant aufgeschnappt hat. Der Saudi ist angeblich bereit, ein kleines Vermögen dafür zu zahlen, wenn der Sprengstoff an eine Adresse in den USA geliefert wird. Das
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