Die kalte Legende
zu den Tanzenden, die sich auf den breiten Kieferndielen vor der Jukebox langsam im Kreis drehten. Ein junger Mann, in dem Leroy einen Pakistani wiedererkannte, den er in Daouds Ausbildungslager in der Pampa gesehen hatte, schmiegte sich an Leroys magere Freundin mit den rot gefärbten Haaren, während er mit ihr auf der Stelle tanzte. »Ich halt nix davon, wenn Frauen mit Frauen tanzen«, sagte der Texaner zu Lincoln und deutete mit dem Kinn auf die Prostituierten, die einander schlaff in den Armen hingen, den Rücken leicht gekrümmt, die bemalten Lider geschlossen, den Kopf auf die Seite gekippt, als wäre ihr Hals nicht stark genug, das Gewicht der aufwendigen Frisuren zu tragen. »Ich find’s nicht normal, so wie lesbische Liebe nicht normal ist. Wenn Gott gewollt hätte, dass Frauen es mit Frauen treiben, hätte er ein paar von ihnen einen Schwanz verpasst. Und die Musik geht mir auch auf den Geist. Don’t Worry, Be Happy, das könnte mein Motto für den Rest meines Lebens werden, wenn die Sache hier vorüber ist.«
Lincoln hielt den Augenblick für gekommen, um zu testen, ob seine Bemühungen, von dem Texaner als Kumpel betrachtet zu werden, gefruchtet hatten. Er beugte sich über den Tisch, senkte die Stimme, damit die beiden Brasilianer am Nebentisch nichts verstehen konnten, und fragte: »Wenn was vorüber ist? Hat mit dem Ammoniumnitrat zu tun, nicht? Eins würde ich ja gern wissen, Leroy – was zum Teufel will einer mit einem Umzugswagen voll Ammoniumnitrat?« Es gelang ihm, die Frage ganz beiläufig zu stellen, als wollte er einfach nur plaudern, ohne wirklich an der Antwort interessiert zu sein.
Leroy, ein kleiner Mann, der gern den großen Mann markierte, konnte nicht widerstehen. »Unter uns Pastorentöchtern, ich werde den Laster persönlich durch den Holland-Tunnel fahren«, sagte er und beugte sich so weit vor, dass sie einander fast an der Stirn berührten. »Dann zünde ich die Ladung mitten in Manhattan und mache die Wall Street dem Erdboden gleich, das garantier’ ich dir.«
Lincoln lehnte sich zurück und pfiff durch die Zähne. »Ihr Jungs fackelt nicht lange – ihr schlagt gleich an der empfindlichsten Stelle zu.«
»Stimmt, lange gefackelt wird nicht«, sagte Leroy und rutschte voller Vorfreude auf seiner Bank hin und her.
Lincoln hob die Flasche an die Lippen und nahm einen Schluck warmes Bier. »Was hast du gegen die Wall Street, Leroy? Hast du mal Geld an der Börse verloren?«
Leroy sog die Luft im Kit-Kat-Klub ein, die nach Bier und Marihuana und Schweiß roch. »Ich hasse die Regierung«, gestand er, »und die Wall Street ist der verlängerte Arm der Regierung. Auf der Wall Street hocken die Juden hinter ihren Mahagonischreibtischen, regieren das Land und schmieden Pläne, wie sie die ganze Welt beherrschen können. Ob du’s zugibst oder nicht, du weißt, dass ich Recht habe, sonst würdest du das, was du machst, nicht machen. Du bist ein Fußsoldat im Befreiungskrieg, genau wie ich. Mann, kann sein, dass wir Amerika zerstören müssen, um es zu befreien, aber eins steht fest: Wir werden die Uhr zurückdrehen, damit Leute mit der richtigen Gesinnung ihr Leben leben können, ohne sich von einem aufgeblasenen Arschloch in Washington Vorschriften machen lassen zu müssen. Wir sind wieder im Bürgerkrieg, Lincoln. Die Regierung will uns sagen, was wir machen können und was nicht.« Leroy sprach leise, aber er wurde immer beschwörender. »Hör mal, Lincoln, du bist doch gebildet, du musst doch sehen, dass das Land vor die Hunde geht. Reichst du den Juden und Niggern den kleinen Finger, nehmen sie gleich die ganze Hand. Wenn wir jetzt nicht zeigen, wo Schluss ist, wenn wir unseren Standpunkt nicht eindeutig klarmachen, dann karren sie die Nigger noch zu jeder gottverdammten Schule im Land, bis zwischen dem Pazifik und dem Atlantik keine einzige rein weiße Schule mehr übrig ist.«
Leroy schien allmählich die Puste auszugehen, als die Mulattin, die an der Bar arbeitete, mit seinem Bier kam. Sie öffnete geschickt die Flasche mit einem Flaschenöffner, der zwischen ihren Brüsten an einer langen, goldenen Halskette hing. »Auch noch eins?«, fragte sie Lincoln.
Die Flasche Bier vor ihm war noch halb voll. »Ich hab noch«, sagte er.
»Du hast gehört, was er gesagt hat«, sagte Leroy ungeduldig.
Die Kellnerin wandte sich an Leroy: »Meine Freundin Paura, die Dunkelhaarige in der Torerohose, die da ganz allein tanzt, die hat ein Auge auf deinen Freund geworfen.«
»Is ja
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