Die Kameliendame
ich hinter der Türe wartete, was sie nun sagen würde. ,Nein', sprach sie endlich, ,ich verlasse Armand nicht. Ich verstecke mich auch nicht mit ihm. Vielleicht ist es eine Dummheit, aber ich liebe ihn. Was kann man da machen? Und dann ist er es jetzt gewöhnt, mich ohne Heimlichkeiten zu lieben. Er würde zu sehr leiden, wenn er mich auch nur für eine Stunde am Tage verlassen müßte. Und dann werde ich auch nicht mehr sehr lange leben. Warum soll ich mich unglücklich machen und den Wunsch eines alten Mannes erfüllen, bei dessen Anblick allein ich mich auch alt fühle. Er soll sein Geld behalten. Ich verzichte darauf.' ,Aber wovon wollen Sie leben?' ,Das weiß ich auch noch nicht.'
Prudence wollte zweifellos etwas antworten, aber ich stieß die Türe auf und stürzte Marguerite zu Füßen. Ich netzte ihre Hände mit Freudentränen, weil sie mich so sehr liebte. ,Mein Leben gehört dir, Marguerite, du brauchst diesen Mann nicht mehr. Bin ich nicht bei dir? Könnte ich jemals das Glück, das ich dir verdanke, vergessen oder nur annähernd vergelten? Keinen Zwang mehr, Marguerite, wir lieben uns, und alles andere geht uns nichts mehr an.' ,O ja, ich liebe dich, mein Armand', sagte sie und schlang ihre Arme um meinen Hals. ,Ich liebe dich so, wie ich es nicht für möglich hielt, lieben zu können. Wir werden sehr glücklich sein, werden beschaulich miteinander leben, und ich sage meiner früheren Lebensweise, über die ich jetzt erröte, endgültig Lebewohl. Du wirst mir niemals meine Vergangenheit vorhalten, nicht wahr?'
Tränen erstickten meine Stimme. Ich konnte Marguerite nur antworten, indem ich sie heftig an mich preßte. ,Also', sagte sie zu Prudence gewandt, mit bewegter Stimme, ,Sie werden dem Herzog diese Szene schildern und ihm sagen, daß wir ihn nicht mehr nötig haben.' Von diesem Tage an wurde der Name des Herzogs nicht mehr erwähnt. Marguerite war nicht mehr das Mädchen von einst. Sie entfernte alles, was an die Umgebung, in der ich sie kennengelernt hatte, erinnern könnte. Niemals hätte eine Frau ihrem Gatten, eine Schwester ihrem Bruder mehr Liebe und Fürsorge erweisen können als sie mir. Ihre kränkliche Natur war für alle Dinge aufgeschlossen, für alle Empfindungen aufnahmebereit. Sie brach mit allem, mit ihren Freunden und mit ihren Lebensgewohnheiten, mit ihrer Verschwendungssucht und ihrer Art, sich auszudrücken. Wer uns beobachtet hätte, wie wir das Haus verließen, um eine Wasserfahrt zu machen - in einem reizenden, kleinen Boot, das ich gekauft hatte -, der hätte nie geglaubt, daß die Frau in dem weißen Kleid, mit dem großen Strohhut und der Seidenmantille, die sie gegen die Kühle des Wassers mitführte und über dem Arm trug, daß diese Frau dieselbe Marguerite Gautier war, die noch vier Monate früher mit ihren Skandalen und ihrem Luxus Aufsehen erregt hatte. Ach, wir eilten mit unserem Glück, als ahnten wir, daß wir es nicht lange genießen sollten.
Seit zwei Monaten waren wir nicht mehr in Paris gewesen. Es war auch niemand zu uns herausgekommen, außer Prudence und jener Julie Duprat, die ich schon erwähnt habe und der sie später die rührenden Aufzeichnungen übergab, die ich hier habe.
Ich verbrachte ganze Tage zu Füßen meiner Geliebten. Wir öffneten die Fenster zum Garten und freuten uns über den schönen Sommer, die Blumenpracht und die Schatten unter den Bäumen. Seite an Seite atmeten wir dieses Leben ein, das weder Marguerite noch ich bis jetzt gekannt hatten. Diese Frau hatte eine kindliche Freude an den kleinsten Dingen. Manchmal lief sie wie ein zehnjähriges Mädchen einem Schmetterling oder einer Libelle quer durch den Garten nach. Diese Kurtisane, die allein für Blumensträuße mehr Geld verschwendet hatte, als man benötigt, um im Schoße einer Familie glücklich zu leben, saß bisweilen stundenlang auf dem Rasen, um die Blume zu betrachten, deren Namen sie trug. In jener Zeit las sie häufig ,Manon Lescaut'. Ich überraschte sie einige Male, wie sie sich Stellen in dem Buch anstrich. Sie sagte mir stets, daß eine Frau, wenn sie liebt, niemals so handeln könne wie Manon.
Zwei- oder dreimal schrieb der Herzog ihr. Sie erkannte seine Handschrift auf den Umschlägen und gab die Briefe ungelesen an mich weiter.
Bei manchen Sätzen in diesen Briefen kamen mir die Tränen. Er hatte geglaubt, daß Marguerite, wenn er ihr sein Geld versagte, zu ihm zurückkehren werde. Als er die Nutzlosigkeit seines Verhaltens einsah, konnte und wollte er nicht daran
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