Die Kameliendame
sich vorstellen kann. Ich bin viel gereist, ich habe viel gesehen, aber nie etwas so Reizendes wie dieses Dorf, das sich friedlich an den schützenden Hügel schmiegt. Madame Arnould schlug uns eine Bootsfahrt vor. Marguerite und Prudence stimmten freudig zu.
Man verbindet immer Landschaft und Liebe miteinander, und mit Recht. Nichts gibt der Frau, die man liebt, einen schöneren Rahmen als der blaue Himmel, der Duft der Blumen, die sanften Lüfte und die köstliche Einsamkeit der Wälder und Felder. Wie sehr man eine Frau auch liebt, wie groß auch das Vertrauen ist, das man in sie setzt, wie berechtigt auch die Hoffnungen für die Zukunft im Hinblick auf ihre Vergangenheit sein mögen, man ist doch immer mehr oder weniger eifersüchtig. Wenn Sie geliebt haben, ernsthaft geliebt haben, dann werden Sie auch den Wunsch gefühlt haben, das Wesen, in dem Sie ganz aufgehen möchten, von der Welt abzusondern. Es scheint, als ob die geliebte Frau, so unbeeinflußt sie auch durch ihre Umgebung sein mag, durch die bloße Berührung mit Menschen und Sachen von ihrem Duft, ihrer Vollkommenheit verliert. Ich empfand das mehr als jeder andere. Meine Liebe war außergewöhnlich. Ich liebte, wie ein Mensch nur lieben kann, aber ich liebte eine Marguerite Gautier. Das heißt, daß ich in Paris auf Schritt und Tritt Männern begegnen konnte, die einmal ihre Liebhaber gewesen waren oder es vielleicht morgen sein würden. Auf dem Lande indessen, unter Menschen, die uns nie gesehen hatten und denen wir gleichgültig waren, in der üppigen Frühlingsnatur, diesem alljährlichen Verzeihen und fern vom Lärm der Stadt konnte ich meine Liebste verbergen und durfte sie ohne Furcht und Schande lieben. Die Kurtisane ging nach und nach verloren. Ich ging neben einer jungen, hübschen Frau; ich liebte sie, ich wurde wieder geliebt, und sie hieß Marguerite. Die Vergangenheit löste sich auf, die Zukunft wurde klar. Die Sonne beleuchtete meine Geliebte nicht anders als die ehrbarste Verlobte. Wir spazierten zusammen durch die reizende Gegend, die wie geschaffen ist für die Verse von Lamartine und die Melodien von Scudo. Marguerite trug ein weißes Kleid, sie hängte sich in meinen Arm. Abends, unter dem Sternenhimmel, sagte sie mir wieder Worte, die ich am Abend vorher aus ihrem Munde gehört hatte, und in der Ferne ging das Leben seinen Lauf, ohne auf uns, unsere Jugend und unsere Liebe seinen Schatten zu werfen.
Das war der Traum, den mir die strahlende Sonne durch die Blätter zutrug, als ich auf dem Grase der Insel, an der wir angelegt hatten, ausgestreckt lag. Ich fühlte mich frei von allen menschlichen Verpflichtungen, die mich sonst in ihrem Bann hielten, ließ meinen Gedanken freien Lauf und verweilte bei allen Hoffnungen, die mir in den Sinn kamen. Von dort aus, wo ich lag, erblickte ich am Ufer ein hübsches, kleines zweistöckiges Haus hinter einem halbrunden Gitterzaun. Durch die Gitter sah man vor dem Haus einen grünen Rasenplatz, weich wie Samt. Hinter dem Gebäude lag ein kleiner Wald mit geheimnisvollen Verstecken. Der Morgentau würde dort sicher jede Spur des abendlichen Spazierganges auslöschen.
Kletterpflanzen rankten sich an dem unbewohnten Haus bis zum ersten Stock hinauf und verbargen die Freitreppe. Je länger ich das Haus betrachtete, desto mehr war ich davon überzeugt, daß es mir gehören mußte, so gut paßte es in meinen Traum. Ich sah dort Marguerite und mich, am Tage waren wir im Wäldchen auf dem Hügel, am Abend saßen wir auf dem Rasen. Und ich fragte mich, ob es Erdenwesen gäbe, die glücklicher sein würden als wir dort. ,Welch hübsches Haus!' sagte Marguerite, die meinem Blick und vielleicht auch meinen Gedanken gefolgt war. ,Wo?' fragte Prudence.
,Dort.' Und Marguerite deutete mit dem Finger auf das besagte Haus.
,Ach, hinreißend!' entgegnete Prudence. ,Gefällt es Ihnen?' ,Sehr.'
,Nun, dann sagen Sie doch dem Herzog, er soll es für Sie mieten. Ich bin überzeugt, er wird es tun. Wenn Sie wollen, kümmere ich mich gerne darum.'
Marguerite sah mich an, als wolle sie mich fragen, was ich von diesem Vorschlag hielte.
Mein Traum war bei den letzten Worten von Prudence verflogen. Sie hatten mich grausam in die Wirklichkeit zurückgestoßen, und ich war noch ganz betäubt von dem Sturz. ,Das ist wirklich eine ausgezeichnete Idee', stammelte ich, ohne zu wissen, was ich sagte.
,Gut, ich werde alles in die Wege leiten', sagte Marguerite und drückte meine Hand. Sie legte die Worte ihrem Wunsch entsprechend
Weitere Kostenlose Bücher