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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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um Eddie gedreht, und als sie zu Ende gewesen war, hatte Sam verlangt, er sollte den Familienkram außerhalb des Todestraktes lassen. Er hatte im Moment andere Dinge im Kopf. Es war nicht fair, einen zum Tode verurteilten Mann mit seinen alten Sünden zu konfrontieren.
    Adam war weder ein Biograph noch ein Ahnenforscher. Er hatte weder Soziologie noch Psychiatrie studiert, und im Moment fürchtete er sich beinahe vor weiteren Ausflügen in die Geschichte der Familie Cayhall. Er war lediglich ein Anwalt, ein ziemlich grüner, aber dennoch ein Anwalt, und sein Mandant brauchte ihn.
    Es war an der Zeit, sich um die juristische Seite zu kümmern und die Folklore zu vergessen.
    Um halb zwölf wählte er Lees Nummer und hörte zu, wie das Telefon läutete. Er hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, sagte ihr, wo er war, und bat sie, ihn anzurufen. Um eins und um zwei versuchte er es wieder. Keine Antwort. Er arbeitete an einem Widerspruch, als das Telefon klingelte.
    Anstatt Lees angenehmer Stimme hörte er die knappen Worte des Ehrenwerten F. Flynn Slattery. »Ja, Mr. Hall, hier ist Richter Slattery. Ich habe mir die Sache gründlich durch den Kopf gehen lassen, und ich lehne Ihren Antrag ab, einschließlich ihrer Forderung nach einem Aufschub der Hinrichtung«, sagte er, fast mit einem Anflug von Fröhlichkeit. »Eine Menge Gründe, aber die brauchen wir jetzt nicht zu erörtern. Mein Kanzleivorsteher wird Ihnen meine Begründung gleich per Fax durchgeben, Sie werden sie also in ein paar Minuten haben.«
    »Ja, Sir«, sagte Adam.
    »Sie müssen so bald wie möglich Widerspruch einlegen, das wissen Sie. Ich schlage vor, daß Sie das morgen früh tun.«
    »Ich arbeite bereits an dem Widerspruch, Euer Ehren. Er ist fast fertig.«
    »Gut. Sie haben also damit gerechnet?«
    »Ja, Sir. Ich habe sofort, nachdem ich am Dienstag Ihr Büro verlassen hatte, mit der Arbeit angefangen.« Es war verlockend, ein oder zwei Pfeile auf Slattery abzuschießen. Schließlich war er zweihundert Meilen entfernt. Aber er war trotz allem ein Bundesrichter, und Adam war sich völlig im klaren darüber, daß er eines nicht allzu fernen Tages Seine Ehren vielleicht wieder brauchen würde.
    »Guten Tag, Mr. Hall.« Und damit legte Slattery den Hörer auf.
    Adam wanderte ein dutzendmal um den Tisch herum, dann schaute er in den leichten Regen vorm Fenster hinaus. Er fluchte leise über Bundesrichter im allgemeinen und Slattery im besonderen, dann kehrte er an den Computer zurück, starrte auf den Bildschirm und wartete auf eine Inspiration.
    Er tippte und las, recherchierte und druckte aus, schaute aus seinen Fenstern und träumte von Wundern, bis es dunkel war. Er harte mehrere Stunden mit sinnlosen Kleinigkeiten vertrödelt, und einer der Gründe dafür, daß er bis acht Uhr gearbeitet hatte, war der, daß er Lee reichlich Zeit lassen wollte, in die Wohnung zurückzukehren.
    Es gab keine Spur von ihr. Der Wachmann sagte, sie wäre nicht zurückgekommen. Außer der seinen war keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er aß Popcorn aus der Mikrowelle und sah sich zwei Filme auf Video an. Die Vorstellung, Phelps Booth anzurufen, war ihm so zuwider, daß er schon bei dem Gedanken daran erschauderte.
    Er dachte daran, auf der Couch im Wohnzimmer zu schlafen, damit er hören konnte, wenn sie nach Hause kam, aber nach dem zweiten Film zog er sich in sein Zimmer im Obergeschoß zurück und machte die Tür hinter sich zu.
28
    D ie Erklärung für ihr gestriges Verschwinden kam ziemlich langsam, klang aber plausibel, nachdem sie damit fertig war. Sie war den ganzen Tag im Krankenhaus gewesen, mit einem ihrer Mädchen von Auburn House, sagte sie, während sie sich langsam in der Küche herumbewegte. Das arme kleine Ding war erst dreizehn, Baby Nummer eins, aber natürlich würden noch mehr kommen, und die Wehen hatten einen Monat zu früh eingesetzt. Ihre Mutter saß im Gefängnis, ihre Tante war unterwegs und verkaufte Drogen, und sie hatte sonst niemanden, an den sie sich wenden konnte. Lee hatte während der ganzen schwierigen Entbindung ihre Hand gehalten. Dem Mädchen ging es gut, und das Baby war in Ordnung, und nun gab es in den Gettos von Memphis ein weiteres unerwünschtes Kind.
    Lees Stimme war rauh, und ihre Augen waren gerötet und verquollen. Sie sagte, sie wäre ein paar Minuten nach eins zurückgekehrt, und sie hätte anrufen wollen, aber sie war sechs Stunden im Kreißsaal gewesen und zwei Stunden im Entbindungssaal. Das

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