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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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dir über die Vergangenheit?«
    »Nur, wenn ich ihm Fragen stelle. Wir haben über Eddie gesprochen, aber ich habe ihm versprochen, daß wir es nicht noch einmal tun.«
    »Er ist schuld, daß Eddie tot ist. Begreift er das?«
    »Vielleicht.«
    »Hast du es ihm gesagt?«
    »Nein.«
    »Du hättest es tun sollen. Du machst es ihm zu leicht. Er muß wissen, was er angerichtet hat.«
    »Ich glaube, das weiß er. Aber du hast selbst gesagt, es wäre nicht fair, ihn in diesem Stadium seines Lebens zu quälen.«
    »Was ist mit Joe Lincoln? Hast du mit ihm über Joe Lincoln gesprochen?«
    »Ich habe ihm erzählt, daß wir bei dem alten Haus waren. Er hat mich gefragt, ob ich über Joe Lincoln Bescheid wüßte. Ich habe ja gesagt.«
    »Hat er es abgestritten?«
    »Nein. Er schien es sehr zu bereuen.«
    »Er ist ein Lügner.«
    »Nein. Ich glaube, er hat es ehrlich gemeint.«
    Eine weitere lange Pause. Sie saß da, ohne sich zu bewegen.
    »Hat er dir von dem Lynchmord erzählt?«
    Adam schloß die Augen und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Nein«, murmelte er.
    »Das dachte ich mir.«
    »Ich möchte nichts davon hören, Lee.«
    »Doch, das möchtest du. Du bist hergekommen voller Fragen über die Familie und über deine Vergangenheit. Vor zwei Wochen konntest du einfach nicht genug bekommen von dem Elend der Familie Cayhall. Du wolltest alles, das Blut und die Eingeweide.«
    »Ich habe genug gehört«, sagte er.
    »Welcher Tag ist heute?« fragte sie.
    »Donnerstag. Danach hast du schon einmal gefragt.«
    »Eines meiner Mädchen war heute fällig. Das zweite Kind. Ich habe nicht im Büro angerufen. Wahrscheinlich sind die Medikamente daran schuld.«
    »Und der Alkohol.«
    »Ja, verdammt noch mal. Ich bin Alkoholikerin. Wer kann mir einen Vorwurf daraus machen? Manchmal wünsche ich mir, ich hätte den Mut, das zu tun, was Eddie getan hat.«
    »Red keinen Unsinn, Lee. Ich möchte dir helfen.«
    »Oh, du hast mir schon sehr geholfen, Adam. Bevor du gekommen bist, ging es mir gut, und ich war stocknüchtern.«
    »Okay, es war falsch von mir. Es tut mir leid. Mir war einfach nicht klar...« Seine Worte wurden leiser, dann verstummte er. Sie bewegte sich ein wenig, und Adam sah zu, wie sie einen weiteren Schluck trank. Die Minuten vergingen, und ein lastendes Schweigen hüllte sie ein. Wie der widerwärtige Geruch, der von ihrem Ende des Bettes ausging.
    »Mutter hat mir die Geschichte erzählt«, sagte sie leise, fast flüsternd. »Sie sagte, sie hätte jahrelang Gerüchte darüber gehört. Sie wußte lange bevor sie heirateten, daß er beim Lynchen eines jungen Schwarzen dabei war.«
    »Bitte, Lee.«
    »Ich habe ihn nie danach gefragt, aber Eddie hat es getan. Wir hatten viele Jahre darüber geflüstert, und eines Tages ist Eddie einfach hingegangen und hat ihn damit konfrontiert. Sie hatten einen schlimmen Streit, aber Sam hat zugegeben, daß es wahr war. Er hätte deshalb keinerlei Gewissensbisse, sagte er. Der junge Schwarze hatte angeblich ein weißes Mädchen vergewaltigt, aber sie war eine Schlampe, und viele Leute bezweifelten, daß es tatsächlich eine Vergewaltigung war. Das jedenfalls war Mutters Version. Sam war damals ungefähr fünfzehn, und eine Horde Männer marschierte zum Gefängnis, holte den schwarzen Jungen heraus und schleppte ihn in den Wald. Sams Vater war natürlich der Anführer dieser Horde, und seine Brüder waren auch dabei.«
    »Das reicht, Lee.«
    »Sie schlugen ihn mit einer Rindslederpeitsche, dann erhängten sie ihn an einem Baum. Mein lieber Vater steckte mittendrin. Er konnte es nicht abstreiten, weil jemand ein Foto davon gemacht hat.«
    »Ein Foto?«
    »Ja. Ein paar Jahre später ist das Foto irgendwie in ein Buch über die Misere der Neger im Tiefen Süden gelangt. Es wurde 1947 veröffentlicht. Meine Mutter hatte ein Exemplar davon. Eddie hat es auf dem Dachboden gefunden.«
    »Und Sam ist auf dem Foto?«
    »Natürlich. Grinsend von einem Ohr zum anderen. Sie stehen unter dem Baum, und die Füße des Schwarzen baumeln über ihren Köpfen. Für alle ist es ein Mordsspaß. Nur ein Nigger mehr, der gelyncht wurde. Niemand weiß, wer das Foto aufgenommen hat. Aber es spricht für sich selbst. Die Bildunterschrift lautet: Lynchmord im ländlichen Mississippi, 1936.«
    »Wo ist das Buch?«
    »In der Schublade da drüben. Ich habe es aufbewahrt, zusammen mit den anderen Familienschätzen, die ich vor der Zwangsvollstreckung aus dem Haus geholt habe. Ich hatte es erst vor ein paar Tagen in der

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